Sonntag, 22. November 2015

Episode 51 – Morgen ist gestern schon heute 

Es beruhigt mich sehr, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der sich beim Blick auf den Kalender jedes Jahr zur gleichen Zeit fast am Frühstück verschluckt.
Wann ist es Winter geworden und wo ist das Jahr nur hin?
Eine Woche vorm 1. Advent, 4,5 Wochen vor Weihnachten und 5,5 Wochen vorm Jahresende kann ich irgendwie nicht glauben, dass das Jahr 2015 schon wieder Geschichte ist.
Als ich mich also vor Kurzem mit meiner lieben Freundin Felicitas traf, um 9 Tage vor dem ersten Advent unseren alljährlichen Adventskranz-Bastel-Nachmittag zu zelebrieren, waren wir beide ziemlich stolz darauf, wie unglaublich pünktlich wir dieses Jahr mit den Vorbereitungen für Weihnachten dran waren.
Voller Motivation stürzten wir uns ins Gedränge und durchforsteten die Geschäfte nach Accessoires, Dekoration und Bastelmaterialien, doch schnell wurde uns klar: so vorbildlich früh dran wie wir gedacht hatten, waren wir dann doch nicht. Schon im ersten Geschäft leuchteten uns Schilder entgegen, die sich mit einem Weihnachtsabverkauf in den Vordergrund drängten. Ich bin wohl die Letzte, die sich über einen „Ausverkauf“ beschweren würde, aber einen Weihnachts-Schlussverkauf am 20.November fand selbst ich irgendwie unsympathisch. Das ganze ließ sich aber tatsächlich noch steigern: auch im nächsten Geschäft, einem Baumarkt, lockte man uns mit 50% auf das komplette Weihnachtssortiment… „Tannenkränze??? Haben wir nicht mehr. Noch ein paar fertige Gestecke vorne beim Abverkauf“. Ich erinnere gerne nochmal daran: 9 Tage vorm ersten Advent.
9 Tage vorm ersten Advent (und wohlgemerkt vorm Totensonntag) wurde ich von der Verkäuferin so missbilligend begutachtet, als hätte ich sie gerade nach der Seele ihres Erstgeborenen gefragt.
Ich finde es gruselig, dass die Weihnachtssüßigkeiten ab dem 01.September im Supermarkt stehen, ich finde es unpassend, dass sich die Regale nach Silvester (und noch lange vor Beginn der Fastenzeit ) vor Ostereiern und Schokoladenhasen nur so biegen und ich frage mich jedes Jahr aufs Neue warum. Ich liebe Weihnachten und ich finde eine lange Zeit der Vorfreude für so ein Fest mehr als angemessen… nur fällt es mir schwer, die Notwendigkeit von Weihnachtsmänner in Supermarktregalen zu erkennen, wenn draußen noch 30 Grad herrschen.
Und ich habe irgendwie auch etwas Angst. Angst davor, in einen Sog gerissen zu werden, in dem alles schneller wird und ein Fest schon wieder „vorbei“ ist, bevor es überhaupt stattgefunden hat.
Wir alle merken täglich, dass sich unser Leben beschleunigt, dass die Zeit nur so an uns vorbei rauscht. Sollten wir da die Feste nicht so feiern „wie sie fallen“?
Wir beendeten unser Shoppingtour schließlich doch noch ziemlich erfolgreich und schließlich auch günstiger als geplant. Vielleicht muss man, wie immer, einfach das Positive in allem sehen.
Ich habe meinen Adventskranz fertig, ich hatte einen wunderschönen Nachmittag und ich habe mir etwas vorgenommen: ich gebe das Tempo vor in dem ich durchs Leben gehe! Der erste Advent ist nächste Woche, Weihnachten weiterhin in 4,5 Wochen und Weihnachtsmänner, Dominosteine und Marzipankartoffeln gibt es erst ab dem 1. Advent!
Ich wünsche euch, ab nächster Woche, eine ruhige, entspannte Vorweihnachtszeit.


Samstag, 14. November 2015

Episode 50 – Barfuß oder Lackschuh

Auf meinem Schreibtisch steht ein Foto, welches ich besonders gerne mag. Es zeigt meinen Opa und mich vor ungefähr 30 Jahren. Die Erinnerungen an ihn beschränken sich auf wenige Jahre und größtenteils auf die Schulferien, sind aber dennoch sehr klar.
Ich erinnere mich an unsere Spaziergänge entlang der Mosel, an unsere Abende vorm Radio, an MEINEN Süßigkeitenschrank und Einmachgläser voller gesammelter Münzen… ein, zwei, fünf Pfennig, sauber sortiert.
Ich erinnere mich auch nach gut 20 Jahren an seine Stimme und ich erinnere mich daran, wie er meinen „Modegeschmack“ immer lächelnd mit „Barfuß oder Lackschuh“ kommentierte. Die Anspielung auf das bekannte Lied aus den 80ern verstand ich erst, als meine Mutter und er es mir irgendwann lachend vorsangen.

Immer wenn ich an meinem Schreibtisch sitze, erinnere ich mich an all das. Seit gut fünf Jahren blicke ich von hier, aus meinem Fenster, auf die alten Osramhöfe. Ich habe den Wedding lieb gewonnen. Anfangs war es eher eine Zweckbeziehung. Der Wedding war günstig, „zentral“ (man kann ja quasi behaupten in Mitte zu wohnen) und voller schöner Altbauten. Die Romanze begann vor fast 11 Jahren im afrikanischen Viertel und entwickelte sich, zugegeben, sehr langsam. Wedding, der Arbeiterbezirkt, bestach nicht gerade durch Glamour und Style. Lediglich der Plötzensee und die Rehberge gefielen mir ganz gut.
Als ich einige Jahre später nach einer neuen Wohnung suchte, wurde ich mit guten Ratschlägen und Empfehlungen überhäuft: Prenzl’Berg, Reinickendorf, Pankow, Friedrichshain, Lichtenberg… doch da war es schon geschehen. Ich hatte mich verliebt.
Und nicht nur das: ähnlich wie das Herrchen sich dem Hund anpasst, war der Wedding unmerklich zu meinem Bezirk geworden. Der Schillerpark mit seinen unzähligen Kaninchen, die vielen kleinen Cafés und Bars, die Büchereien und Spätis. Und doch konnte ich es lange nicht richtig beschreiben. Die Antwort kam mir, an einem sonnigen Herbsttag im November. Es war in diesem Jahr außergewöhnlich warm, große Laubhaufen türmten sich am Straßenrand und der Wedding war in ein wunderbar warmes Licht getaucht, als ich mich auf den Heimweg von der Bibliothek am Luisenbad machte.
Spontan (und in Erinnerungen schwelgend) nahm ich einen kleinen Umweg durch den Soldiner Kiez. Nahm eine rechts, eine links und stand plötzlich in der Fordoner Straße. Ohne genau zu wissen, wer oder was mich hier hin geführt hatte, schlenderte ich weiter und stand plötzlich vor einem Stein mit der Aufschrift  „Weddinger Junge“…
Harald Juhnke. Irgendwann, irgendwo hatte ich mal gehört, dass er in Wedding aufgewachsen war. Ich hatte schon immer ein sehr gespaltene Verhältnis zu ihm… viele für mich fragwürdige Lebensentscheidungen duellieren sich mit der unglaubliche Liebe, die er für diese, meine Stadt Berlin, offensichtlich immer empfunden hatte. BERLIN, BERLIN statt New York, New York!
Und während ich mich langsam auf den Heimweg machte, begann ich etwas du summen… „Barfuß oder Lackschuh, alles oder nichts…“
Bis heute beschreibt mich dieser Songtitel ziemlich gut: Bequem und etwas gammlig oder aufgestyled und schick gemacht – beides kann ich. Das dazwischen kann ich nicht.
Vielleicht war es genau das, was mich mit dem Wedding verband, was uns zu Verbündeten machten, was mir das Gefühl gab, Zuhause zu sein. Vielleicht hatte Harald Juhnke genau dieses Gefühl in sich getragen, das Leben im Arbeiterbezirkt Wedding im Hinterkopf, den Glamour dieser Stadt vor sich, als er dieses Lied sang.
Wedding ist vieles, aber niemals Durchschnitt. Ein Stadtteil, der dich mit Jogginghose genauso liebt wie mit Highheels… ich suchte den Song auf YouTube und während ich den Titel mittlerweile das dritte Mal hörte, spazierte ich nach Hause. In Jogginghose. Vielleicht ist morgen mal wieder ein Tag für Lackschuhe…







Samstag, 7. November 2015

Episode 49 – Liebesbriefe

Als ich vorletzte Woche durch alte Erinnerungen stöbert, fand ich einen Ordner mit Emails.
Obwohl ich meine private Emailadresse schon seit 18 Jahren habe, gab es doch immer wieder Dienstmailadressen, die hin und wieder für private Zwecke „missbraucht“ wurden.
Während ich durch die alten Mails blätterte, freute ich mich mich, diese damals ausgedruckt und damit gerettet zu haben. Gut 11 Jahre waren die Mails alt, die ich an diesem Nachmittag wie gebannt verschlang.

Es ist schon seltsam. In einer so gut vernetzten Zeit, in der jeder immer und überall erreichbar ist, in der wir täglich problemlos und schnell kommunizieren können, scheint die Bedeutung von Briefen mehr und mehr verloren gegangen zu sein.

Zugegeben, Emails fallen wohl auch in die Kategorie "elektronische, virtuelle" Nachricht, aber auch so eine Emails war vor 15 Jahren nur eine Art Express-Brief… So schön es auch ist, sich schnell mal eine SMS, eine WhatsApp oder eine Nachricht zu schicken, so ist dies doch kein wirklicher Ersatz für den guten alten Brief oder seinen Nachfolger, die Email.
Ich las einige Mails, schmunzelte, wurde nachdenklich und reiste unwillkürlich in die Zeit zurück, in der ich Niko diese Mails geschrieben und seine Antworten erhalten hatte.
Es war schön zu lesen, wie wir damals über uns und unsere Beziehung dachten, es war eine Mischung aus Roman, Liebesbrief und Krimi. Keine Sammlung von Kurznachrichten hätte den Verlauf und die Emotionen so gut wiedergeben können, wie diese Briefesammlung.
Früher hatte man keine andere Wahl, man musste sich Briefe schreiben. Der Brief war dann einige Tage unterwegs bis er den Weg zum geliebten Menschen fand und auch auf die Antwort musste man einige Tage warten. Man musste den Brief per Hand schreiben, Briefmarken kaufen und ihn selbst einwerfen. Der Aufwand den so eine Brief mit sich brachte, war groß genug, um sich ausführlich Gedanken über den Inhalt zu machen. Man schrieb alles nieder, was einem in den Sinn kam, man überdachte jedes Wort, bevor man den Brief schließlich abschickte.
Etwas davon hat zumindest in den ersten Jahren der Email noch überlebt. Ich fand es schön in aller Ausführlichkeit nachzulesen, was dem Anderen damals durch den Kopf ging.
Also setzte ich mich hin und schrieb nach langer Zeit mal wieder einen Liebesbrief.
Ich überlegte ganz genau was ich sagen wollte, ich überdachte jedes Wort, ich wählte Briefpapier und Tinte. Und während ich schrieb, merkte ich, wie ich entspannte. Es hatte etwas meditatives tatsächlich mal wieder am Schreibtisch zu sitzen und ganz in Ruhe einen Liebesbrief zu schreiben, einen Kaffee neben mir und ansonsten absolute Stille.
In einer Zeit, in der alles immer und überall verfügbar zu sein scheint, hat es etwas aufregendes, einen Brief abzuschicken und gespannt auf eine Antwort warten zu müssen.
Ich finde, wir sollten uns alle ab und an Zeit für einen Brief nehmen. Es muss ja kein Liebesbrief sein. Aber haben unsere Eltern, unsere Freunde unsere Liebsten nicht ab und an mehr verdient, als eine SMS oder eine WhatsApp?
Ein Brief drückt eine gewisse Wertschätzung aus und ihr werdet überrascht sein, was so ein handgeschriebener Brief beim Gegenüber auslöst…
Was mein Liebesbrief ausgelöst hat behalte ich für mich… Briefgeheimnis!

Sonntag, 1. November 2015

Episode 48 - Neustart

Immer wenn die Tage wieder kürzer werden und sich das Jahr dem Ende neigt, werde ich nachdenklich und melancholisch und damit steh ich nicht alleine da.
Mag es an der fehlenden Sonne liegen, daran, dass sich die Möglichkeiten minimieren, seine Freizeit mit Freunden an der frischen Luft zu verbringen oder, dass man realisiert, dass man schon wieder ein Jahr älter ist… irgendwas in mir philosophiert im Herbst und im Winter einfach lieber als im Sommer.
Teilweise unbeabsichtigt reflektiert man das Jahr, überlegt was man gut hinbekommen hat und was nicht so toll lief, gleicht seine Neujahrsvorsätze mit dem Ist-Stand ab und macht evtl. Pläne fürs nächste Jahr.
Der 01.Januar ist schon immer der Tag, der für unzählige Menschen den „Neuanfang“ symbolisiert wie kein anderer. Fitnessstudios boomen, WeightWatchers hört die Kasse klingeln, Nichtraucher-Seminare sind ausgebucht. Woran liegt es, dass wir einen Tag im Kalender brauchen, um neu durchzustarten, unser Leben zu reseten und nochmal anzufangen?
Was der 01.01. im Großen ist, ist der Montag im Kleinen. An keinem Tag beginnen Diäten so oft, wie an einem Montag. Vielleicht ist es der Beginn der neuen, jungfräulichen Woche die einen Neustart nach dem exzessiven Wochenende bildet. Vielleicht ist es die Ordnung, die unser Gehirn liebt. Gekoppelt mit diesem Start-Tag-Phänomen ist das Phänomen vorher nochmal richtig über die Stränge zu schlagen. Ein Phänomen welches schon vor unserem Neuanfang zeigt, dass es nichts werden kann…
Ich überlege, wie viele Neuanfänge ich schon feierlich eingeläutet habe und was ich im Vorfeld dafür getan hab, um mein Neustart erfolgversprechend zu gestalten und ich frage mich,  ob ein Mensch einen festen Termin für einen solchen Neustart braucht?
Ist nicht die Einsicht um die Notwendigkeit einer Veränderung der Startschuss zur Veränderung? Betrügen wir uns selbst, wenn wir nach dieser Erkenntnis nicht augenblicklich anfangen?
Ich glaube genau das ist der Grund, warum so viele Versuche scheitern. Wenn man schöne Schuhe sieht, steuert man geradewegs auf sie zu, ohne Umwege und in völliger Panik, sie an einen anderen Interessenten zu verlieren. Hat man sie erst, lässt man sie nicht mehr los, bis man entschieden hat, ob man sie kaufen will. Oder ob man sie sich leisten kann.
Man würde niemals auf die Idee kommen, erstmal noch eine Runde durch den Laden zu drehen und sie sich nächsten Montag zu kaufen. Man macht es sofort oder gar nicht. Oder lässt sie sich wenigstens zurücklegen, bis der Kontostand gecheckt oder die nächste Gehaltszahlung auf dem Konto ist. Warum also zögern wir bei Entscheidungen, die wir bezüglich unseres Lebens gefasst haben?

Das Thema Neuanfang  fasziniert mich. Wir schieben Neuanfänge vor uns her, trauern dem „Alten“ nach, setzten einen Termin und zelebrieren nochmal unsere alte Lebensweise. Wie viele Menschen kenne ich, die vor eine Diät nochmal richtig zulangen, die vor ihrem Neustart feiern gehen, rauchen und trinken.

Während ich meinen Gedanken nachgehe, fällt mein Blick auf meine Balkonkästen, in denen mein verblühter Lavendel traurig vor sich hin trocknet. Ich wollte ihn im Spätsommer eigentlich abernten und trocknen, denn ich liebe den Duft von Lavendel, aber wie so oft, habe ich auch hier den Zeitpunkt mal wieder verpasst.
Während mein Blick also auf den Lavendel fällt, bemerke ich eine kleine Blüte, die sich tapfer durchgekämpft hat. Ich muss unwillkürlich lächeln: was für ein großartiger Zufall und eigentlich der perfekte Abschluss für diese Episode: wenn man neu Anfangen will dann sofort! Ohne Kompromisse und gegen jede Regel. Denn aufgeschoben Anfänge tragen immer einen leichten Zweifel in sich, eine Wehmut das Alte hinter sich lassen zu müssen.
Wenn man wirklich neu anfangen will, warum dann nicht an einem Mittwoch um 16 Uhr?
Wenn Lavendel am 01.November neu erblühen kann, dann können wir das doch wohl auch…