Samstag, 31. Mai 2014

Episode 16 – Kleideranprobe

Ein seltsames Gefühl machte sich an diesem Nachmittag in mir breit. Lange hatte ich Jim nicht gesehen. Es kam mir vor, als wären wir uns fremd, als wäre unsere Vergangenheit nicht real, sondern einem seltsamen Traum entsprungen. Jim hatte mich vor einiger Zeit gerettet. Damals, kurz nachdem Niko seine Sachen gepackt hatte und gegangen war, tauchte er plötzlich auf. Es war das perfekte Timing für eine ziemlich abgefahrene Begegnung. Er lies mich wieder lachen, er lies mich wieder hoffen und er nahm mich so sehr in Beschlag, dass mir keine Zeit blieb, um in Erinnerungen und Melancholie zu versinken. Er tat alles das, was Niko nie getan hatte und verkörperte rein gar nichts von dem, was Niko damals für mich darstellte. Er war mein Lebensretter und rettete mich buchstäblich vor dem Ertrinken. Ich genoss seine Gesellschaft und war dankbar für das Gefühl, das er mir gab und so versuchte ich, an meinem Retter festzuhalten. Es kam mir irgendwie falsch vor, einen Lebensretter einfach so gehen zu lassen. Es half alles nichts. Ziemlich schnell wurde mir klar, dass dies seine einzige Funktion in meinem Leben sein sollte. Nun, da ich ihn wiedersah, zufällig mit irgendeiner Bekannten, spürte ich diesen Stich in der Bauchregion und ich konnte ihn zuordnen. Es war Eifersucht. Ich hasste dieses Gefühl. Ich konnte dieses Gefühl nicht steuern, egal wie rational ich es betrachtete. Schlimmer noch: es war sinnlos. Das mit der Eifersucht ist bei mir nämlich so eine Sache. Ich kenne dieses Gefühl seit meiner Kindheit, auch wenn sich die Anlässe zur Eifersucht seither geändert haben. Mal war es eine ausbleibende Geburtstagseinladung von einem Mitschüler, den ich eh nicht mochte. Mal war es ein Lob vor versammelter Klasse, das mir gebührt hätte, von einem Lehrer der mir egal war und mal war es ein Kleid, dass meiner Freundin besser stand, als mir. Und genau hier fand ich die Parallelen zu meiner Eifersucht heute. Es waren nie die Dinge die mir wirklich viel bedeuteten, für mich gedacht waren oder zu mir passten auf die ich eifersüchtig war. Wenn ich eifersüchtig wurde, dann auf Dinge, die jemand anderem besser passten als mir. Es war wie früher. Es war wie in diesem Moment, in dem du ein Kleid im Schaufenster siehst. Es ist ganz schön, haut dich aber nicht total um. Du bist mit deiner Freundin auf einer Shoppingtour und du hast gerade nichts besseres vor, also erlaubst du dir, es anzuprobieren. Schon als du es von der Kleiderstange nimmst und etwas genauer betrachtest, fällt dir auf, dass es eigentlich doch ganz hübsch, aber absolut nicht dein Stil ist. Und richtig. Es sitzt schlecht, steht dir nicht, kurz: es ist einfach nicht für dich gemacht. Bis hierhin ist alles gut. An dieser Stelle konnte ich als Kind und als Teeny Kleider wieder zurück hängen und in diesem Moment kann ich auch heute Männer aus meinem Leben verschwinden lassen. Schwierig wurde es früher nun nur, wenn die Freundin das Kleid ebenfalls anprobierte, es ihr fantastisch stand und sie es kaufte. Und genauso geht es mir heute, wenn ich Männer aus der Vergangenheit mit Frauen sehe. Auch bei meinem Lebensretter. Und ich frage mich, was dieses Gefühl in mir auslöst. Wenn es um Kleider geht, so habe ich meinen eigenen Stil gefunden. Es fällt mir heute nicht mehr schwer, ein Kleid an eine Freundin weiter zu geben das mir nicht steht, weil ich weiß, dass ich mir mit einem schlecht sitzenden Kleid keinen Gefallen tue und etwas sehr viel besseres finden werde. Warum habe ich diese Einsicht nicht auch jetzt? Hier. Bei Jim. Vielleicht, denke ich, ist es der fehlende Glaube daran, dass am Ende alles gut wird. Dass das passende Kleid gleich um die Ecke auf dich wartet. Andererseits, wenn man diesen Glauben in Fashion hat, dann sollte man ihm wahrscheinlich auch bei Beziehungen eine Chance geben.

Samstag, 24. Mai 2014

Episode 15 – Am Haken

Es ist Frühling in Berlin. Das merkt man an den Vögeln, die schon um 4 Uhr anfangen, vor meinem Fenster zu singen, an den kürzer werdenden Nächten und Röcken und an der Tatsache, dass plötzlich wieder mehr gelächelt wird. Die Welt erscheint offen und freundlich und da ist es wohl ganz normal, dass dies ansteckend auf uns Menschen wirkt. Mit den ersten Sonnenstrahlen sprießen nicht nur die Tulpen, sondern auch neue Bekanntschaften und Beziehungen aus dem Boden und umgeben uns wohin wir auch gehen. Ich habe „Frühlingsgefühle“ schon immer ziemlich skeptisch betrachtet, denn sie beschränken sich, wie ihr Name verrät, auf eine einzige Jahreszeit und erinnert mich irgendwie zu sehr an die Brunftzeit im Tierreich. Was der Frühling aber auch mit sich bringt, sind die ersten schönen Spaziergänge, Grillabende und Weißwein auf den Dachterrassen dieser Stadt. Ich liebe es mit meinen Freundinnen in der Frühlingssonne zu sitzen und über die wirklich großen Dinge im Leben zu diskutieren. In den letzten zwei Wochen, dem Frühling geschuldet, handelt es sich hierbei fast ausschließlich um die neuen Beziehungen die da gerade entstehen. Nach einem dieser Weißwein-Abende schlenderte ich mit Esther durch den nahe gelegenen Park. Wir sind ein unschlagbares Team. Mit niemandem werte ich die Beziehungs-Storys unserer Freunde lieber aus, als mit ihr. Sie ist nicht nur sehr realistisch und sachlich, sondern auch gnadenlos ehrlich. Wir sprachen also über Heike und ihren Frank, der ihren Erzählungen nach großartig war. Gut, er hatte sie seit drei Monaten keinem einzigen Freund, geschweige denn seiner Familie vorgestellt und verabredete sich mir ihr quasi nur in seiner oder ihrer Wohnung, aber vielleicht war er ja einfach nicht so der Typ der alles gleich an die große Glocke hing. Dann war da Conny. Ihr „Neuer“ lebte gerade in Scheidung und alles war gerade noch etwas unschön. Es lief auf Unterhaltszahlungen an seine Exfrau und geteiltes Sorgerecht für ihre gemeinsame Tochter hinaus. Conny war absolut verliebt und beteuerte, dass sie dass schon schaffen würden, es sie aber schon ärgere, dass sie die Tochter ihres neuen Freundes „vorerst“ nicht kennen lernen sollte. Und schließlich landeten wir bei Janine. Janine hatte den Jackpot geknackt. Sie hatte vor einigen Wochen einen tollen Mann kennen gelernt, der die Anforderungsliste aller Singelfrauen um die 30 bestand: er war Single, keine Exfrauen, keine Kinder, eigene Wohnung, guter Job, gutes Aussehen, er wünschte sich eine Familie und dies tatsächlich in naher Zukunft, er war gesellig und witzig und teilte mit Janine die gleiche Vorstellung vom Leben. Nach dem dritten Glas Wein kam dann die Offenbarung: „er ist toll, aber da ist kein zooom zwischen uns, keine Leidenschaft. Er ist halt wie mein bester Freund, mein Fels.“ Esther und ich liefen schweigend nebeneinander her, denn gerade diese Geschichte macht uns traurig. Wir versuchten uns zu erklären, was da gerade in unserem Freundeskreis passierte. Ist es wie bei dem Outfit, dass auf Fotos super aussieht, aber sobald man damit durchs reale Leben läuft, merkt man, dass die Strumpfhose rutscht, die Schuhe drücken und die Kette sich immer wieder im Strickoberteil verhakt. Ist es einfach Teil des realen Lebens, dass immer etwas hakt? Oder suchen wir so sehr das Perfekte, dass wir sofort das komplette Outfit doof finden, sobald nicht alles dem Bild in unserer Vorstellung entspricht? Wir freuen uns, wenn wir einen Mann am Haken haben und wundern uns dann dass der Mann einen Haken hat. Die entscheidende Frage ist doch, können wir mit diesem Haken leben? Der Mann, der uns drei Monate lang niemandem vorstellt hat seine Gründe, der in Scheidung lebende Vater wird immer eine Exfrau und ein Kind haben und der gute Kumpel wird in uns nie das zooom auslösen, dass wir aus früheren Bekanntschaften kennen... die Entscheidung liegt wohl immer bei uns: Verbringen wir den Großteil unsere Zeit mit dem Kerl an unserem Haken oder mit dem Haken an unserem Kerl? Wir waren fast bei Esther zuhause angekommen. Wer weiß schon ob das komplette Outfit doof ist, solange man es nicht einfach mal mit einer neuen Kette probierte. Vielleicht stellt man fest, dass die Änderung eines Details das ganze Bild komplett verändert. Das kann die eigene Erwartung sein, das eigene Verhalten, das festlegen der eigenen Toleranzgrenze oder auch die Einsicht, dass Strickoberteile und Ketten mit Ecken und Kanten keine gute Kombination sind.

Samstag, 17. Mai 2014

Episode 14 – Butterfly Effect

Ich wache auf und bin glücklich. Das ist wirklich schön, denn die Chancen stehen jeden Morgen 50 zu 50. Ich finde mich nicht launisch, ich denke auch nicht, dass ich manisch-depressive Tendenzen habe und doch gibt es Tage, an denen wache ich glücklich auf und welche, an denen ich irgendwie nicht ganz so phantastische Laune habe. An solchen Tagen liege ich dann wach und gehe gedanklich die Hardfacts durch: Bin ich gestern unglücklich eingeschlafen? Habe ich gestern eine schlechte Nachricht bekommen? Habe ich heute etwas unangenehmes vor? Meistens ist es nichts davon. Vielleicht ist es der Mond. Vielleicht liegt es an Träumen, vielleicht am Wetter... Heute interessiert es mich nicht. Ich bin glücklich. Die Sonne scheint, ich habe frei, bin ausgeschlafen und das alles, um 7.30 Uhr an einem Samstag. Beschwingt beschließe ich ein paar Sachen fürs Frühstück zu besorgen. Zu Fuß. Ich laufe durch Wedding, durch den Schillerpark, der bis auf ein paar Jogger kaum besucht ist, die Müllerstraße entlang und ich betrachte die Menschen, die mir begegnen. Die Frau um die 40, wahrscheinlich Hausfrau und Mutter, die pflichtbewusst eine Runde mit dem Hund dreht, während ihre Familie sicherlich noch tief und fest schläft. Ein kräftiges Mädchen auf dem Weg zur U-Bahn, welches, wie es das Klischee verlangt, gerade einen Pfannkuchen isst. Die junge Frau mit dem Kopftuch die eilig mit ihren drei Kindern die Straße kreuzt. Ich versuche, ihre Blicke im vorbei gehen aufzuschnappen, zu sehen, ob diese Menschen heute glücklich aufgestanden sind. Die Verkäuferin Mitte 50 ist es offensichtlich nicht. Sie ist in diesem Laden auch nicht die erste Mitarbeiterin, die mir unangenehm auffällt. Es scheint ihr körperliche Schmerzen zu bereiten mir eine Pfandflasche abzunehmen, die der Pfandautomat nicht will. Sie zieht missbilligend die Augenbrauen hoch während sie mich bedient und während ich noch überlege ob ich mich über sie beschweren oder sie mal kräftig in den Arm nehmen soll frage ich mich, ob es grundsätzlich Menschen gibt, die glücklicher auf die Welt kommen als andere. Abgesehen davon, dass man manchmal gut gelaunt aufwacht und manchmal nicht – gibt es Menschen, die es einfach schwerer haben als andere? Ich überlege, ob das Glücklichsein vererbt wird und damit angeboren ist. Ich muss unweigerlich an mein Patenkind denken. Die kleine Maus mit dem bezaubernden Lachen, die ich ohne Zweifel als sehr glückliches Kind beschreiben würde. Selten am weinen und eigentlich immer am strahlen. Dann sind da die Geschichten von andern Bekannten, über Babys, die die Nächte durchweinen und grundsätzlich unzufrieden mit sich und der Welt zu sein scheinen. Können aus glücklichen Babys später unglückliche Erwachsene werden oder ist einem dieses Grundgefühl sicher. Ist jeder Tag ein neuer Anfang oder können wir einfach nicht aus unserer Haut, wenn es um unsere Lebenseinstellung geht? Ich entschließe mich die Verkäuferin weder zu umarmen, noch mich über sie zu beschweren. Wenn sie wirklich unglücklich ist, so denke ich, wird sie eine Beschwerde auch nicht glücklicher machen. Aber ich nehme mir vor, dem Filialleiter mal zu schreiben und ihm mitzuteilen, dass mir seine Mitarbeiter unglücklich vorkommen. Ich werde ihn bitten, sich darüber einmal ernsthaft Gedanken zu machen, da es inzwischen der Kundschaft unangenehm auffällt. Ich weiß, dass dies nichts ändern wird, aber vielleicht hält er ja tatsächlich für einen Moment inne und denkt kurz über das Glücklichsein nach. Und wie wir ja alle wissen, kann der Flügelschlag eines Schmetterlings manchmal sogar einen Orkan auslösen...

Samstag, 10. Mai 2014

Episode 13 – Pyjamerparty

Es war wieder mal Freitag und ich saß mit Finja in meiner Lieblingsbar bei Pasta und Rotwein. Finja und ich kannten uns aus frühester Kindheit. Wir hatten die letzten 30 Jahre phasenweise sehr intensiv und dann wieder mit etwas Abstand zueinander verbracht. Es war immer wieder schön mit ihr zu reden und es war ebenso spannend, ihren Geschichten zu lauschen. Wenn es um erste Dates, Männer oder das Leben allgemein ging, hatte Finja immer eine Menge zu berichten. An anderen Abenden lästerten wir über gemeinsame Bekannte oder versanken in Erinnerungen, so auch heute. Nach dem dritten Glas Wein packt Finja glucksend eine Geschichte aus, die ich komplett vergessen hatte: Es muss sehr lange her sein. Wir waren vielleicht fünf oder sechs Jahre alt und fanden es damals unglaublich spannend bei unseren Freunden zu übernachten. Finja war von ihren Eltern also an einem Freitag Nachmittag mit Sack und Pack zu uns gebracht worden. Wir hatten gespielt, Pizza gegessen und gequatscht bis wir eingeschlafen waren. Das heißt um genau zu sein, bis ich eingeschlafen war. Finja hingegen hatte Heimweh bekommen. Als es für die kleine Finja nicht mehr auszuhalten war, hatte sie all ihren Mut zusammen genommen, war aufgestanden und zu meinen Eltern ins Wohnzimmer gegangen. Wahrscheinlich war es noch nicht mal 22 Uhr. Finjas Erzählungen nach, muss es aber mitten in der Nacht gewesen sein, als meine Eltern sie schließlich nach Hause fuhren und damit unser kleines Übernachtungsexperiment beendeten. Die Pointe dieser Nacht kam aber erst noch. Leicht benebelt vom Wein und kichernd erzählte sie mir, wie der Abend ausgegangen war: Ich konnte mich nicht mehr erinnern, aber ich war wohl in der Nacht aufgewacht, nicht wissend, dass Finja schon wieder zu hause bei sich war und hatte sie mit meiner Taschenlampe in der ganzen Wohnung gesucht. So unruhig war ich gewesen, dass ich nach einer langen, ausgiebigen Suche meine Eltern weckte, um Finja als vermisst zu melden. Und während wir lachen, über Kindheitserinnerungen und Albernheiten wird uns bewusst dass wir das vermissen. Ich denke an Niko. An Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte. An Nächte, in denen ich in der Küche oder auf dem Balkon saß, um ihn nicht zu wecken, während mich Gedanken oder Ängste wach hielten. Wir machen Scherze darüber und lachen immer noch während ich feststelle, dass ich mir damals gewünscht hätte, von Niko mit der Taschenlampe gesucht zu werden, weil ihm meine Abwesenheit Sorgen bereitete. Weil er nicht schlafen konnte, ohne zu wissen wo hin ich verschwunden war. Und dann denke ich an unseren Abschied vor fast zwei Jahren. Daran, wie ich ihn gebeten hatte, mich nicht mehr anzurufen, mir nicht mehr zu schreiben. Ich frage mich, ob er meine Bitte einfach nur respektiere oder ob es ihm schlicht zu viel Mühe bereitete, mich mit der Taschenlampe zu suchen. Möchten Mädchen nicht in jedem Alter vermisst und gesucht werden? Während ich darüber nachdenke bringt es Finja mal wieder auf den Punkt: „Du bist halt einfach eine tolle Freundin. Ich würde dich auch jederzeit mit der Taschenlampe suchen, denn wenn man seine Freunde liebt, macht man das halt“. Da hat sie Recht. Wen man liebt, den sucht man. Beweislage abgeschlossen. So einer schlüssigen Argumentation, kann ich einfach nichts hinzufügen.

Samstag, 3. Mai 2014

Episode 12 - Kutschfahrt ins Glück

Es war ein wundervoller Sonntag. Ich hatte ausgeschlafen, im Schäfer zu Mittag gegessen und die Zeitung gelesen um mich danach auf den Weg zur Arbeit zu machen. Es waren 25 Grad, der Himmel war blau und die Sonne schien. Vor mir kreuzte eine Kutsche die Brunnenstraße und ich stand an der Ampel, in Gedanken versunken. Während ich der Kutsche nachsah, die die Bernauer Straße hinunter rumpelte, musste ich unweigerlich an meine Kindheit denken. Ich hatte Pferde geliebt. Wie so viele Mädchen in diesem Alter, wollte auch ich unbedingt reiten lernen. Zusammen mit meinen Freundinnen, ging ich also einmal die Woche zum Reitunterricht. Ambitioniert fuhren unsere Eltern uns zum Reiten und holten uns wieder ab. Es war eine glücklich Zeit in der sich die kleinen und großen Wünsche wie von selbst zu erfüllen schienen. Ich denke zurück an meine Geburtstagsfeiern. Ich bin ein Dezemberkind und hatte so nie die Möglichkeit, eine Party im Freien zu geben. Ich erinnerte mich an einen Sommer, ich muss acht oder neun Jahre alt gewesen sein, in dem ich, neben meiner jährlichen Geburtstagsfeier eine zusätzliche Kinderparty schmeißen durfte - nur zu dem Zweck mir eine Kutschfahrt mit meinen Freundinnen zu ermöglichen. Meine Erinnerungen mögen vielleicht auf eine verwöhnte Kindheit hindeuten, für mich war es eine Zeit voller Liebe, in der Wünsche wahr werden konnten und die Prinzessin die Kutsche bekam, wenn sie es sich nur sehr wünschte. Lächelnd blickte ich der Kutsche nach, die kaum noch zu sehen war. Irgendwie eine unwirkliche Erscheinung mitten in Berlin auf einer viel befahrenen Straße. Ich weiß, dass nicht nur ich diese Kindheit hatte. Meine Freundinnen hatten ebenfalls großartige Eltern und Großeltern. Ich frage mich insgeheim, ob dieser Glaube, dass Wünsche wahr werden uns bis heute prägt. Ist es so, dass wir noch heute darauf bauen, dass die Kutsche angerollt kommt, wenn wir es uns einfach nur fest wünschen. Dass eine unsichtbare Hand genau wie in unserer Kindheit den Job, den Mann, das Geld schon irgendwie auftauchen lässt, wenn wir fest daran glauben. Ich denke an meine Freundinnen aus frühster Kindheit. Wieviel Energie wenden wir tatsächlich auf, um die Wahrwerdung unserer Wünsche zu realisieren. Ich hatte immer viel Glück im Leben. Menschen mochten mich, Chancen ergaben sich, Dinge fielen mir zu... Habe ich je gelernt für meine Wünsche selbst einzutreten oder habe ich es vielleicht wieder verlernt? Wie viel Wahrheit steckt in der Floskel, jeder sei seines Glückes Schmied? Glück, so denke ich, war für mich immer etwas, was passiert und nichts, was ich selber formen kann, aber vielleicht gilt dies nicht für die Erfüllung von Wünschen, die glücklich machen. Vielleicht müssen wir umdenken. Vielleicht muss man die Kutsche laut wie ein Kind einfordern, damit man sie bekommt. Kann man auch für sein Glück einen Entwurf festlegen, so etwas wie einen Businessplan, in dem man festlegt, welche Wünsche man im Optimalfall erfüllt sehen möchte? Ich parkte und nahm gut gelaunt immer zwei Treppenstufen auf einmal. Ich glaube es kann nichts schaden seine Wünsche laut zu äußern, denn um dies zu tun, muss man seine Wünsche kennen und für sich selbst klar formulieren. Vielleicht ist das ja schon die halbe Miete. Und selbst wenn nicht, so können wir diese Lektion aus unserer Kindheit mitnehmen: Lautstark eingeforderte Wünsche werden gehört und ernst genommen. Von unseren Eltern, unseren Freunden, von uns selbst und vielleicht sogar vom großen Glück...

Episode 3 – Relativitätstheorie

Oh man was haben wir für Chancen! Alles ist möglich, das Leben ist herrlich. Mit einem Blick, der wohl ungefähr dies zum Ausdruck brachte, strahlte mich eine ältere Kundin an als sie sagte „Anfang 30 ... Kleines... ihnen steht das ganze Leben noch bevor“. „Aha“ dachte ich mir und erlaubte meine Gedanken einen Moment auf Wanderschaft zu gehen... Wertschätzen wir dieses wunderbare Geschenk in einer Zeit, in der man ab 25 ungern sein Alter verrät, wenn man danach gefragt wird?! Es ist wahrscheinlich so wie mit Kleidergröße 38 – wir schätzen sie erst wenn wir nur noch in die 40 passen. Genauso verhält es sich wohl (lustigerweise ebenfalls zahlenmäßig) auch mit dem Alter. Ich fühle mich tatsächlich einige Minuten nach diesem Gespräch wunderbar. So als wäre ich im aller besten Alter und so als wären die Sorgen, die dieses Alter mit sich bringt Hirngespinste. Sie hat recht. Anfang 30 – da kann alles noch kommen. Auch, und vor allem, der Prinz, das Pferd, das Haus, der Baum, der Gartenzaun und die blond gelockten Kinder. Und doch, wenn ich einige Stunden später auf meiner Couch liege, den Feierabend genieße und den Tag an mir vorüber ziehen lasse, sind die Möglichkeiten von denen meine betagtere Lieblingskundin sprach, still und leise aus der Tür geschlichen. Und irgendwie sind die Wege die uns offen stehen gleich nicht mehr so vielseitig und unser Leben nicht das bildliche Bad in Champagner. Kein Wunder, dass bei vielen Single-Ladys der Fernseher angeht, sobald sie abends nach Hause kommen. Ich verstehe das, denn so kann man in diesem süßen Zustand des Tages, der voll von Menschen, Freunden und Erlebnissen war etwas länger planschen. Aber zurück zu mir, meiner Couch, meinem Wein und meinen Gedanken. Die Freunde schlafen, die Männer die man anrufen könnte um Gesellschaft zu haben sind allesamt auf der roten ‚sie-haben-dir-nie-gut-getan-und-werden-es-auch-beim-10.Versuch-nicht- Liste’ im besten Fall schlummert eine dicke Katze oder ein kuscheliger Hund auf dem Schoß. Bei mir nicht. Ich liebe Tiere, aber für einen Hund fehlt mir die Zeit und um ehrlich zu sein habe ich Angst eine Katze würde mich zu einer Katzenfrau machen. Jeder kennt doch dieses Schreckensbild: einsame Jungfer mit Katzen. Überall. Ein paar Tage später treffe ich sie wieder, meine liebe Lieblingskundin. Was würden Sie gerne machen, wenn sie noch mal in meinem Alter wären? Sie grinst mich an: „ich würde mich zeigen! Glaub Sie mir Kleines, wenn ich noch mal in ihrem Alter wäre, ich würde in Straßenkaffees sitzen und mit jungen Männern ins Gespräch kommen, ich würde meine hohen Schuhe anziehen und tanzen gehen ich würde mich der Welt vorstellen“, ihre Augen glänzen und ich verstehe dass man die Hose in Größe 38 stolz tragen sollte, anstatt auf die 36 zu schielen. Und außerdem kommen Prinzen auch sowieso äußerst selten durchs Wohnzimmer geritten...