Samstag, 24. Oktober 2015

Episode 47 - Zusammen. Sein. 

Ich wünschte mir, dass jeder freie Tag ein Tag wäre, an dem ich entspannt aufstehen und frühstücke könnte. Dass jedes Mal die Sonne scheint um einen langen Spaziergang zu machen und danach etwas erholsames für mich selbst zu tun. In der Realität gibt es aber meist eine To-Do-Liste, die es abzuarbeiten gilt. „Schreiben“ auf diese zu setzten, macht aus Erfahrung meist keinen Sinn, denn entweder fliegen mir die Gedanken und Geschichten zu oder nicht.
Manchmal trage ich einen Gedanken eine ganze Woche mit mir herum.
Dinge, die mich beschäftigen, Geschichten die ich erlebt habe, aber wenn ich dann Zeit hätte diese zu einer Episode zu formen, wollen sich die Worte nicht richtig finden.
Manchmal ist es auch nur ein einziges Wort, welches mich beschäftig. Dieses Wort liegt dann wie ein Sonnenblumenkern da und könnte zu einer riesigen Pflanze, einer tollen Geschichte heranwachsen, aber mir fehlt einfach das drum herum, die Verbindung, der Inhalt, der aus einem einzigen Wort erst eine Geschichte macht - die Erde, das Wasser und die Sonne sozusagen.
So ähnlich ging es mir in dieser Woche.
Zugegeben, die To-Do Liste, die es an diesem Freitag abzuarbeiten galt war nicht sehr lang. Ich wollte mein Gefrierfach abtauen, den Abwasch machen, die Wäsche waschen (etwas Schreiben !) und ins Nagelstudio fahren. Jahrelang hatte ich nach einem Studio gesucht, in dem ich mich wohl und willkommen fühlen würde.
Allein die Suche nach dem richtigen Nagelstudio könnte eine komplette Episode füllen, aber das hebe ich mir für ein anderes Mal auf.
Vor einem Jahr wurde ich auf einen kleinen Laden am Rand von Berlin aufmerksam. Er gehörte einer Vietnamesin, die ihn komplett allein führte. Zu meiner Überraschung hatte ich festgestellt, dass sie sich wirklich gerne unterhielt, sich Dinge merkte, nachfragte und auch von sich selbst erzählte. Das war ich von den Nagelstudios in Wedding nicht gewohnt und so freute ich mich regelmäßig eine Stunde zu entspannen und etwas zu plaudern.
Ab und an telefonierte sie mit ihrem Mann, aber das störte mich nicht.
Auch an diesem Freitag hatten sich die Gedanken nicht wirklich zu einer runden Geschichte entwickelt und so fuhr ich erstmal zu meinem Termin. Ich hatte gehofft nach einer Stunde Entspannung vielleicht etwas kreativer zu sein, etwas klarer denken zu können. Heute aber bekam ich nicht nur schöne Hände, sondern auch den Inhalt zu meinem Wort, Die Erde für meinem Sonnenblumenkern, auf dem Silbertablett serviert.
Als ich den Laden betrat, telefonierte Linh gerade mit ihrem Mann. Als sie mich sah lächelte sie und legte augenblicklich auf. Ein wenig hatte ich bei den letzten Besuchen schon von ihr erfahren. Sie war verheiratet, hatte Kinder. Sie arbeitete sechs Tage die Woche im Nagelstudio, ihr Mann besaß ein Restaurant in dem er von Montag bis Sonntag arbeitete. Sonntags half sie ihm dort. Sie sahen sich meist nur früh. Kurz bevor sie zu ihrem Laden fuhr stand er auf um mit ihr zu frühstücken. Es gab dann immer etwas warmes, frisch gekochtes zu essen. Zum Einen, weil es für sie nicht ungewöhnlich war, zum Anderen, wie sie mir erzählte, weil es wichtig sei, eine große warme Mahlzeit am Tag gemeinsam zu essen. So stellte sie sich also um 7 Uhr in die Küche und kochte Reis, Gemüse, Fleisch. Wenn sie Abends nach Hause kam, war er noch im Restaurant… manchmal bis früh um zwei, aber wenigstens würden sie am nächsten Morgen wieder gemeinsam Essen.
Gemeinsam. Zusammen. Die Worte die mir die ganze Woche durch den Kopf schwirrten.
Die Definition dieser Wörter beschäftigte mich stark. Wie könnte es auch anders sein, wenn man einige hundert Kilometer entfernt von dem Manschen ist, mit dem man doch eigentlich zusammen sein möchte, mit dem man eine gemeinsame Zukunft plant.
Niko wäre nicht Niko und das Leben wäre nicht das Leben, wenn immer alles nach Plan laufen würde. Die ganze Woche über ging mir ein Satz nicht aus dem Kopf: „Wir gehören zusammen“.
Was so wundervoll klingt, birgt für mich doch eine Menge Erklärungsbedarf. Vielleicht fehlt mir die nötige Phantasie und Kreativität um zu verstehen, wie das mit dem „Zusammensein“ unter diesen Umständen funktionieren soll. Vielleicht habe ich eine sehr klassische Vorstellung davon was es heißt sein Leben „gemeinsam zu leben“…
Linh begann damit meine Nägel zu feilen als ihr Handy erneut klingelte. Sie steckte sich einen der zwei Kopfhörer ins Ohr und  feilte weiter. Wortlos. Anscheinend hörte sie mehr zu als das sie redete. Ab und an hatte ich diese seltsamen Telefonate schon beobachtet, aber heute war etwas anders: ihr Telefon war so laut, dass ich durch den zweiten Knopf hören konnte, was auf der anderen Seite passierte. Ich hörte das klappern von Pfannen und Töpfen, es fiel etwas zu Boden, dann war es still. Zwischendurch schienen sich zwei Leute im Hintergrund zu unterhalten, dann wechselten Linh und ihr Mann ein Wort, wieder Stille, wieder das Klappern von Töpfen.
Einige Zeit lauschte ich, gebannt und so unauffällig wie möglich, dem Treiben, das da aus dem Kopfhörer drang und wünschte mir, ich würde vietnamesisch verstehen und dann kam mir ein Gedanke: die beiden verbringen ihren Tag zusammen! Sie lauschte was er da so machte und er war bei ihr.
Ich finde den Gedanken faszinierend, wenngleich auch etwas traurig. Andererseits schien es sie sehr zu beruhigen ihren Mann bei sich zu wissen.
So vieles halten wir für „normal“, so vieles für nicht verhandelbar, dabei geht es beim Zusammensein  vielleicht nur darum gemeinsam das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. Ich halte dies nicht für optimal. Es ist auch keine Beziehung, die ich mir zum Vorbild nehmen will, aber es zeigt wieder einmal, dass jede Beziehung nach ihren eigenen Regeln laufen kann, so lange es die beiden die sie führen näher zueinander bringt. Über 40 km oder über 800…

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Episode 46 – Fairplay

Manchmal scheint es, als würde die Zeit einfach so vergehen. 
Als wäre jeder Tag wie der Andere. 
Manchmal schlage ich meinen Kalender auf und bemerke, dass das Bändchen, welches die aktuelle Woche markiert, noch zwischen den Tagen von vorletzter Wochen klemmt und frage mich dann, wo die Zeit hin ist. 
Manchmal blättere ich zurück und sehe eine Notiz, die einen Countdown bis zu einem bestimmten Tag enthält „Noch 14 Tage bis zum Urlaub“, „Noch 4 Wochen bis…“. Ich erinnere mich dann ganz genau an die Vorfreude und das Gefühl , das ich in diesem Moment verspürte und frage mich, wohin die Zeit ist… 

Wenn ich mir alte Fotos ansehe, von Klassenfahrten, Wandertagen, Trainingslagern oder Kindergeburtstagen wird mir immer bewusst, wie langsam die Zeit vergangen ist, als ich noch klein war. Sommerferien dauerten ewig, eine dreitägige Klassenfahrt fühlte sich wie eine richtige Reise an und Freundschaften schloss man fürs Leben.

Und während ich die Kinderbilder so betrachte, macht sich ein zweites Gefühl in mir breit: ich vermisse die Sicherheit zu wissen, dass man mit der Wahrheit immer auf der richtigen Seite  steht, dass es immer besser ist ehrlich zu sein als zu flunkern. 
Die Sicherheit, dass man Recht bekommt wenn man Recht hat.
Es gab in meiner Kindheit bestimmt Situationen, in denen ich bockig war, weil mir etwas nicht passte, weil ich etwas ungerecht fand. Ich kann mich aber tatsächlich an keine Situation erinnern, in der ich tatsächlich großes Unrecht erlebt hätte. Und selbst wenn wir uns an Situationen erinnern, so sind es meist einzelne Momente, vermutlich entstanden durch Missverständnisse. Das Grundgefühl das beim Betrachten der vielen Bilder bleibt, ist ein tiefes Vertrauen in die Wahrheit.

Ich frage mich unwillkürlich, ob nur ich das so wahr nehmen oder ob es die Welt um mich rum einfach beim Erwachsenwerden verloren hat. 
Es beginnt oft schon im Job. Loyalität, Diplomatie,… schöne Worte, die für die falsche Sache missbraucht werden. Es gibt nur wenig Firmen, in denen die ehrliche Meinung der Mitarbeiter gefragt ist. Gewünscht und erwartet wird ein Klatschen, ein Nicken, ein falsches Lob, dabei wäre wohl vielen Arbeitgebern zu raten, ihren Mitarbeitern für ehrliche Rückmeldungen zu danken. In meinen ersten Jobs hatte ich damit erhebliche Probleme. Es widerstrebt mir zu heucheln und zu lügen und so konnte ich schon mal zur Abteilungsleiterin gehen und ihr sagen, dass ich es unfair fand, dass sie die Aushilfe vor der Geschäftsführung für ihre eigenen Fehler verantwortlich machte. Das kam nicht so gut an.     
Ich fand es auch nur fair, meine Bedenken zu einer geplanten Aktion mitzuteilen, anstatt mit allen anderen vor gespielter Begeisterung auf den Tisch zu klopfen. Auch das kam nicht gut an.

„Mit den Jahren (und mit den Jobs) lernt man, wann es gilt die Klappe zu halten, wann es gilt zu klatschen und wann es gilt zu jubeln“, erklärte mir eine Freundin letzte Woche bei einem Spaziergang.

Ich finde das frustrierend. Da bemühen sich die Eltern um eine gute Erziehung („sei höflich, sei freundlich, lüge nicht, sei fair, sei rücksichtsvoll…“) Und mit einem Schlag soll man als Erwachsener umlernen. 
Vielleicht  wird der Grundstein dafür schon viel früher gelegt. Bestimmt sogar. Alles entscheidet sich ja quasi in der frühsten Kindheit. Ich beobachte immer wieder, dass es auch in diesem Bereich zwei Typen von Kindern gibt. Es gibt die Kinder, die heulen und schreien und strampeln und bocken, weil sie nicht verstehen, warum ‚Lena‘ heute mal die Prinzessin spielen darf. Ich befürchte immer, dass das die Kinder sind, denen auch Zuhause nie viel erklärt wurde. Und dann gibt es die Kinder, die sich ganz schnell beruhigen und aufmerksam zuhören wenn man ihnen erklärt warum ‚Lena‘ das darf und warum das jetzt gerade nur fair ist. Diese Kinder kommen dann danach oft zu mir und erklären, warum sie sauer waren oder überraschen mich beim nächsten Mal mit gut durchdachten Vorschlägen. 
Ich glaube Fairness und Ehrlichkeit liegen in der Natur des Menschen. 
Es sind Grundbedürfnisse, welche im Erwachsenenalter zum Teil aus Angst an Bedeutung verlieren können.
Angst davor, den Kürzeren zu ziehen, Angst vor Benachteiligung, Angst vor Konsequenzen...
Ich freue mich immer, wenn ich auf Menschen treffe, die sich das gleiche positive Gefühl aus der Kindheit behalten haben. Ganz besonders, wenn es Freunde oder Bekannte sind, die in Führungspositionen arbeiten… denn im Grunde ist Mitarbeiterführung ja auch ein klein wenig, wie Kindererziehung und so kann man nur hoffen, dass diese Menschen etwas von ihrer Art an ihre Schützlinge vererben.