Sonntag, 2. November 2014

Episode 32 - Italien Night

Die Luft roch fast noch nach Sommer und die Stadt war voller Menschen als Esther und ich den Gendarmenmarkt zum Französischen Dom hin überquerten. Ich liebe diese Abende, an denen man spürt, dass der Sommer fast vorbei ist und die Menschen jede warme Briese noch mitnehmen möchten. Die Abende, an denen man noch draußen seinen Wein trinkt, aber sich schon in eine dickere Jacke oder eine kuschelige Decke wickeln muss, damit man es auch genießen kann. Mich machen diese Abende glücklich und melancholisch zugleich und wenn ich mich meiner Melancholie in vollem Ausmaß hingebe, finde ich manchmal sogar Parallelen zwischen ihnen und dem Leben. Hält man das Leben und auch den Sommer nicht gleichermaßen all zu oft für selbstverständlich und lernt es erst dann so richtig schätzen, wenn die Sonnenstrahlen rar werden und sich die Sommerabende unausweichlich dem Ende neigen?
Ich muss ehrlich sagen, dass mir solche schweren und mittelmäßig philosophischen Gedanken nicht täglich durch den Kopf gehen, aber es gibt Momente, in denen ich mich gern treiben lasse.
Nachdem Esther und ich im Sommer die Botanische Nacht in Lichterfelde besucht und zahlreichen Konzerten gelauscht hatten, waren wir überzeugt davon, dass wir in Berlin mehr als unsere typischen Mädelabende unternehmen mussten. So kam es, dass wir an diesem Abend nicht auf dem Weg zu einer Bar, sondern zu einem Streichkonzert im Französischen Dom waren. Die italienische Nacht versprachen uns Albinoni, Vivaldi und Corelli. Während ich mich setzte, im Programmheft blätterte und mich freute, dass ich einen von drei kannte, fragte ich mich, ob ich diese Art von Musik wirklich mochte. Nach den ersten zehn Minuten war mir klar: ich langweilte mich. Esther lauschte völlig fasziniert der Musik und ich... zählte Sitzplätze und multiplizierte sie mit den Eintrittspreisen um mir auszurechnen, wie viel so eine Violinistin wohl realistisch verdienen würde. Obwohl ich keine Granate im Kopfrechnen bin, war ich mit dieser Aufgabe relativ schnell fertig und so versuchte ich mich wieder auf die Musik zu konzentrieren.
Als die erste halbe Stunde vorbei war passierte etwas seltsames. Ich hörte auf mich zu konzentrieren und lies meine Gedanken zur Musik fließen. Ich war wohl immer irgendwie davon ausgegangen dass man bei einem Konzert entweder a) laut mitsingen oder in diesem Fall b) jeder Note wie einem Theaterstück lauschen müsse und genau das hatte mich immer gelangweilt.Noch nie zuvor hatte ich mich so treiben lassen. Die musikalische Untermalung meiner Gedanken fühlte sich an, als würde ich träumen. Ich wahr fasziniert, wie wunderschön und extrem entspannend und wohltuend ich diese Musik auf einmal empfand. Alles, was es zu diesem Schlüsselerlebnis gebraucht hatte war, sich von der Musik tragen zu lassen anstatt ihr konzentriert ins Gesicht zu starren und zu warten, dass sie einen begeistert.Und während ich mit geschlossenen Augen den Streichern in dieser Nacht lauschte, schlich sich auch meine spätsommerliche Melancholie vom Anfang wieder an mich heran und brachte mir einen Gedanken: Vielleicht ist es in Beziehungen ja genauso. Man kann sie anstarren über Jahre und sie nicht verstehen, man kann sich darauf konzentrieren und Energie investieren, Erwartungen und Ansprüche stellen und immer wieder resignieren, aber vielleicht kann man sie auf diese Weise nie genießen. Vielleicht ist es wie bei diesem klassischen Streichkonzert. Vielleicht ist es notwendig nicht alles konzentriert und professionell analysieren und begreifen zu wollen sondern die Augen zu schließen und dem Gegenüber die Chance zu geben, losgelöst von allen Erwartungen zu zeigen wie sehr er unser Leben bereichern und verschönern kann.