Samstag, 23. August 2014

Episode 27 - Zeitmanagement

Ich habe mir vor einigen Wochen einen neuen Kalender gekauft. So was wie einen Schülerkalender, der im Juli beginnt und im darauf folgenden Juni endet, so einen hatte ich schon früher, zu Schul- und Unizeiten. Irgendwie bilde ich mir ein, dass es angenehmer ist in der Mitte des Jahres neu anzufangen. Zu Weihnachten, so meine Theorie, wenn das Jahr sich dem Ende neigt, hat man genug um die Ohren und muss sich nicht noch mit zwei Kalendern rumärgern. Im Sommer dagegen sind Ferien, alles ist etwas stressfreier und man hat weniger Termine, so mein Gedankengang. Wie falsch ich doch jedes Jahr liege. Einmal im Jahr komme ich an einen Punkt, wo sich mein Leben zu beschleunigen scheint und ich wie ein Tennisspieler versuche die Bälle irgendwie zu erwischen und übers Netz zurück zu spielen. Meine liebste Cousine beschrieb es vor ein paar Tagen in etwa so „mein Leben ist zur Zeit irgendwie schneller als ich und ich versuche krampfhaft Schritt zu halten“ und ich konnte ihr nur recht geben. Ein wenig jammerten wir noch gemeinsam vor uns hin, bis jeder wieder in seine Welt verschwand. Und dann kommen da die schlauen Bücher, Ratgeber und Artikel über Zeitmanagement, die mich jedes Mal sauer machen. Ungerechterweise denke ich immer, dass solche Bücher nur Menschen helfen, die arbeitslos sind und nicht wissen, wie sie Wäsche waschen, Einkaufen, Staub saugen und Freunde in einen 14 Stunden Tag bekommen. „Mach die Wäsche an, sauge in der Zeit Staub und telefonier mit deinen Freunden während du durch den Supermarkt gehst, verdammt“ geht es mir dann jedes Mal durch den Kopf. In meiner letzten Episode habe ich meine Prioliste erwähnt. Diese habe ich zum Jahresanfang erstellt, um mir selbst etwas mehr Freiraum zu schaffen. Im Prinzip war das eine super Idee. Diese Liste enthält alle Dinge und Personen, die mir wirklich, wirklich wichtig sind und 10 Monate im Jahr funktioniert diese auch ganz gut. Sie funktioniert, weil alle Personen, Freunde und Hobbys ihre Zeit zu gleichen Teilen und schön auf einander abgestimmt einfordern, aber so läuft das Leben nun mal nicht. Es gibt auch diese Momente, wo alles gleichzeitig wichtig ist. Diese „Phasen“ in denen zwei deiner besten Freundinnen heiraten, die Eltern einen Haussitter brauchen, der Sport die Vorbereitung auf ein Turnier verlangt und die Arbeit nicht abzureißen scheint. In solchen Momenten möchte ich mich instinktiv in meinem Bett verkriechen und Winterschlaf halten. Blöd nur, dass Sommer ist. Manchmal hilft es mir dann tatsächlich, mein Leben von außen zu betrachten. Ich nehme mir dann die wenige Zeit die mir bleibt und versuche mein Leben durch die Augen einer dritten Person zu sehen. Ich habe eine Arbeit die mich fordert und erfreut, ich habe ein Hobby, dass mir Spaß macht und mich erfüllt und zwei meiner besten Freundinnen steuern auf den schönsten tag ihres Leben zu. Meine Familie ist gesund und kann sich einen wundervollen Urlaub leisten und ich darf in der erholsamen, ruhigen Umgebung meines Elternhauses wohnen. Ich habe Freunde die mich überall dabei haben wollen und mein Leben ist wunderbar. In solchen Momenten komme ich mir undankbar vor. In einer Zeit, in der der Begriff Burnout für jedes Phänomen der Erschöpfung genutzt wird, zwinge ich mich gerne dazu, die Sicht auf mein Leben für mich selbst mal wieder richtig zu rücken. Nicht nur, um denen gerecht zu werden, die mit dieser schlimmen Krankheit zu kämpfen haben, sondern auch um dankbar zu sein für mein spannendes, erfülltes wunderbares Leben.

Samstag, 9. August 2014

Episode 26 – Hitzefrei

Ich liebe den Sommer, wirklich. Es stört mich noch nicht mal, bei 35 Grad im Schatten zu arbeiten, aber ich vermisse es trotz allem, Hitzefrei zu bekommen, denke ich während ich mich auf den Weg zum Job mache. Es liegt wahrscheinlich an den Kindheitserinnerungen, die ich damit verknüpfe. Es war eine wundervolle Zeit, damals in der Grundschule. Sobald die Sonne kräftiger wurde und die Temperaturen Richtung 30 grad kletterten, machte sich eine freudige Unruhe in mir und meinen Freunden breit. Lange hatten wir nicht verstanden, dass das Thermometer, welches auf dem Schulhof hing, nicht das war, welches vom Direktor zur Ermittlung der tatsächlichen Temperatur herangezogen wurde. Wir hatten dieses bewusste Thermometer viele Jahre regelmäßig gefoltert um Hitzefrei zu bekommen. Unter anderem mit Streichhölzern und Feuerzeugen. Wenn es dann aber tatsächlich soweit war, brach der Jubel im Klassenzimmer aus und ein Gefühl von Freiheit überkam uns. Was gab es besseres, als spontan um 11:30 Uhr Schluss zu haben, sich aufs Fahrrad zu schwingen und mit all seinen Freunden zum Strandbad zu radeln, den ganzen wundervollen Sommertag noch vor sich. Es ist definitiv dieses Gefühl, dass ich vermisse und nicht die Tatsache, bei 35 Grad nicht arbeiten zu wollen. Und während ich so in Gedanken schwelge, bekomme ich Angst, den Sommer regelmäßig zu verpassen. Ich habe meinen Terminkalender vorm inneren Auge, der mir schon jetzt kein einziges freies Wochenende bis Mitte Oktober gönnt und ich bemerke, dass es diese geschenkte Zeit ist, die mir fehlt. Dieser glückliche Moment, wenn man realisiert, dass der ganze Tag noch vor einem liegt und alle geplanten Pflichten abgesagt wurden. Heutzutage bin ich schon fast dankbar, wenn mich mein Zahnarzt mal 30 min. warten lässt und ich eine Zeitschrift in Ruhe durchblättern kann oder mein Flieger Verspätung hat. Geschenkte Zeit aus dem nichts, für die man sich nicht schämen muss, die man anders eh nicht nutzen kann. Ich verbiete mir in solchen Momenten das Handy aus der Tasche zu ziehen und Emails zu beantworten oder Telefonate zu führen, denn ein Geschenk ist etwas großartiges, dass es zu schätzen und nicht mit Füßen zu treten gilt. Ist es nicht seltsam, dass man als Kind trotz aller elterlichen Regeln und der Schule, mit ihren Klassenarbeiten und Hausaufgaben, diese Freiheitsgefühl empfunden hat, nachdem man sich heute sehnt? Als Erwachsener, selber verantwortlich für sein Leben, alleine ohne Verpflichtungen gegenüber Partner und Familie und Chef mit dem Freiraum sich seine Arbeitszeit selbst einzuteilen ist man doch gefangener, als man es zu Kindertagen war. Ich habe mir Anfang des Jahres, quasi als guten Vorsatz, eine Prioritätenliste erstellt. Eine Liste, die mich daran erinnern soll, für wen oder was ich mir Zeit nehme möchte und mein Gewissen beruhigt, wenn ich Termine oder Verabredungen mal nicht wahrnehmen kann, aber irgendwie habe ich den Sommer dabei völlig vergessen. Auf der Arbeit angekommen schlage ich meinen Kalender auf und beschließe, mir in der kommenden Woche einen Tag frei zu nehmen. Einen ungeplanten Tag Urlaub an dem ich meine Sachen und einen mir lieben Menschen schnappen und ans Meer fahren werde. Einfach so. Für einen Tag. Ein Geschenk an mich selbst, wenn man so will. Bei allen Verpflichtungen, den unangenehmen und den wunderschönen, den Geschenken die man gibt und den Geschenken die man bekommt, muss ich mich manchmal wohl daran erinnern, dass auch ein Geschenk an mich selbst wertvoll und wichtig sein kann. Es ist nicht genau das gleiche Gefühl wie damals, der Überraschungsmoment fehlt natürlich, aber dennoch: nächste Woche bin ich mal wieder für einen Tag 10 Jahre alt und bekomme „Hitzefrei“, nur diesmal am Meer. Und mit einer schönen Flasche Wein im Gepäck...

Samstag, 2. August 2014

Episode 25 – Trendbezirk

„Wirklich, ich kann es nicht ausstehen“, sagte ich gerade zu Sarah, als ich in ihrem kleinen Café meine Waffel mampfte. Dabei hatte Sarah mit ihrem wundervollen kleinen Laden ein gutes Stück dazu beigetragen. „Die Hipster nehmen Wedding ein“. Es ist kaum zu übersehen, dass alte Häuser saniert werden, an jeder Ecke schicke kleine Restaurants eröffnen in denen man Sonntags brunchen kann und Cafés aus dem Boden schießen, in denen man veganen Latte Macchiato bekommt. Ich gebe zu, dass ich davon selbst immer wieder gebrauch mache. Nicht von dem veganen Latte Macchiato natürlich, aber von der Möglichkeit, in meinem Kiez schön essen gehen zu können und hervorragenden Kaffee und Kuchen zu bekommen. Ich wohne hier seit 7,5 Jahren und trotz aller Vorurteile mit denen mein armer kleiner Bezirk leben muss, fühle ich mich hier zuhause. Als ich hier herzog waren die Mieten günstig und die Straßen voller „Kultur-Clubs“ und meist türkisch bewirtschafteten Bäckereien, Spätis und Dönerläden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis unser Nachbarbezirk Prenzlauer Berg zu teuer wurde und die vielen Menschen auf der Suche nach schönen Wohnungen zu bezahlbaren Preisen auch den Wedding für sich entdecken. Mit schönen Bezirken ist es nämlich so, wie mit schönen Männern: man hat sie selten für sich alleine. Dabei fängt alles so harmlos an. Es kann ein Mann oder der passende Wohnort sein nachdem man sucht. Beides findet man meist nicht von heute auf morgen. Man sucht und sucht, schaut hier und schaut da, muss einige Fehltritte verkraften und schließlich findet man diesen kleinen Schatz, der sich erst bei genauerer Betrachtung als Gewinn herausstellt. Sucht man eine Wohnung in einem angesagten Bezirk, so weiß man von vornherein, auf was man sich einlässt. Ebenso ist es mit schönen Männern. Sucht man sich einen viel umschwärmten Womanizer, lässt sich erahnen, dass dieser auch weiterhin von vielen Frauen bewundernde Blicke bekommen wird, sucht man sich dagegen etwas „normales“ fühlt man sich in Sicherheit. Doch die Dinge bleiben selten so, wie sie sind. Diese Stadt ist in Bewegung. Jedes Tag, jede Sekunde und so gibt es nur zwei Möglichkeiten: es wird besser oder es wird schlechter. Ähnlich wie bei Menschen in Beziehungen blühen einige auf und einige lassen sich gehen. Eine ähnliche Erfahrung musste auch meine Freundin Yvonne machen. Es klingt nicht sehr nett, aber es entsprach der Realität was sie mir neulich am Telefon erzählte: Markus war zu beginn ihrer Beziehung wirklich kein Blickfang gewesen. Man fragte sich nicht selten, warum eine wunderschöne, erfolgreiche Frau wie sie mit jemandem wie ihm zusammen war. Natürlich schämte man sich gleich danach für diesen Gedanken, waren so viele andere Dinge doch wichtiger als optische Oberflächlichkeiten. Aber dann war irgendetwas in Bewegung geraten. Mag es daran gelegen haben, dass Markus die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen oder das er die Blicke ihres Freundeskreises auffing und deutete... plötzlich arbeitete dieser Mann an sich und was Yvonne anfangs gefallen hatte, die kurzen Haare, der neue Stil, die Initiativbewerbung bei einer großen Firma wurden plötzlich zu einer Belastungsprobe für ihre Beziehung. Fakt war: Markus konnte damit nicht umgehen. Ihm gefiel plötzlich etwas zu gut, was er darstellte und noch besser gefiel ihm, wie andere Menschen und nicht zuletzt vor allem Frauen darauf reagierten. Rückblickend hätte wohl niemand gedacht, dass ein Mann wie Markus Yvonne betrügen würde. Und könnte. Ich hoffte inständig dass mein Bezirk, dem ich nun schon so lange verbunden war, etwas mehr Anstand hatte, dass dieser Bezirk sich schlussendlich treu bleiben würde. Mir treu bleiben würde. Niemand hat wohl ein Problem mit einem neuen Haarschnitt oder einem guten Kleidungsstil, wichtig ist nur, dass man nicht durchdreht wenn man auf der Beliebtheitsskala nach oben klettert sondern sich darauf besinnt, wer schon da war und einen liebte, als man noch etwas weniger angesagt war.