Samstag, 26. September 2015

Episode 45 – Geheimcode

Als ich sieben oder acht Jahre alt war fand ich es spannend die „Geheimsprache“ zu lernen, die meine Mama mit meinem Opa sprach… es war eine einfache Verschnörkelung der Wörter – jedes Wort bekam ein kleines „Anhängsel“ und obwohl ich die Sprache schnell lernte, war ich mir schon damals nicht ganz sicher, ob sie wirklich so geheim war. Lag es daran, dass ich wusste wie sie ging oder vielleicht doch daran, dass ihre Aufschlüsselung zu einfach war?
Fast zur gleichen Zeit, vielleicht ein, zwei Jahre später, schrieben ich und meine Freundinnen uns geheime Briefe. Mit Zitronensaft. Man schrieb einen Brief mit dem Saft einer Zitrone, ließ ihn trocknen und musste zum Lesen nur ganz leicht mit dem Bügeleisen über das Papier fahren, um die Schrift sichtbar zu machen. Ich glaube, es war ein Tipp aus einem Mickey Mouse Heft.

Ich bin mir nicht sicher ob es die Liebe zu verschlüsselten Botschaften war oder die grundsätzliche Unfähigkeit einiger Menschen klar und deutlich zu Kommunizieren. Irgendetwas sorgte jedenfalls dafür, dass ich immer wieder an Männer geriet, die dieses „Spiel“ bis ins Erwachsenenalter beherrschten.
Immer wieder wird uns vermittelt, dass Männer „einfach gestrickt“ sind, dass Männer immer das sagen was sie denken und dass wir Frauen uns zu viele Gedanken über das geschriebene und gesagte Wort des Liebsten machen, aber woran liegt es dann, dass wir anscheinend oft nicht die gleiche Sprache sprechen? Ich frage mich ob es so ist, wie mit der Geheimsprache in frühsten Kindheit:
Fühlt es sich für die Männer gar nicht „verschlüsselt“ an? Fragen sie sich, so wie ich damals, warum sie nicht verstanden werden, obwohl es für sie selbst gar nicht so geheim klingt?
Ich versuche es anhand eines (erdachten) Beispiels klarer zu machen: ein Paar streitet sich! Er verlässt wütend die Wohnung, kommt die ganze Nacht nicht nach Hause, geht nicht ans Handy als sie anruft… am nächsten Vormittag schreibt er ihr „Ich weiß nicht was mit mir los war, ich bin ein solcher Idiot, ich brauchte etwas Zeit für mich. Bis heute Abend.“
Zeigt man diese Nachricht einem männlichen Freund so liest er „Man… tut mir leid wegen gestern, musste mal kurz runter kommen. Bis heute Abend.“
Soweit alles gut.
Für eine Frau hingegen beginnt hier die Dechiffrierung der Nachricht, wobei die Anzahl der Möglichkeiten natürlich von Beziehung zu Beziehung variiert:

a) Warum schreibt er nicht „Schatz“ oder „Liebling“ oder „ich liebe dich“?
b) Irgendwas bedrückt ihn, sonst hätten wir uns gar nicht erst gestritten, er weiß  nur nicht wie er mir beibringen soll was es ist… deswegen brauchte er auch Zeit zum Nachdenken.
c) Er ist ein Idiot?  Warum nennt er sich selbst Idiot? Wegen des Streits? Neeeeiiin. Hat er Geld verspielt? Seinen Job verloren?
d) Er denkt drüber nach auszuziehen! Wahrscheinlich will er es nochmal mit mir versuchen, aber in getrennten Wohnungen. Er schaut sich wahrscheinlich  jetzt gerade eine an, damit er nachher direkt seine Sachen mitnehmen kann!
e) O.k er hat mich betrogen!!! Er deutet das an! Heute Abend wird er es beichten. Er brauchte Zeit? Musste er noch zu der anderen? Will er sie heute Abend mitbringen? Scheiße, er verlässt mich.

Wie oft vermuten wir hinter den einfachsten Sätzen einen tieferen Sinn,  eine Vorwarnung, ein verschlüsseltes Geheimnis. Wir fragen unsere Freundinnen nach ihrer Meinung und werden oft auch selbst zur Meinungsbildung hinzugezogen und glauben daher, dass wir Profis sind, wenn es um das Entschlüsseln einer geheimen Nachricht geht.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass uns das nichts bringt (außer vielleicht dem Vergnügen, stundenlang über einen bestimmten  Mann zu philosophieren). Meine liebe Freundin Marlen zog vor einigen Jahren von Berlin nach London. Dort lernte sie ihren Freund kennen, er kam aus Paris. Sie hätte deutsch mit ihm sprechen können, er hätte auf französisch antworten können… sie einigten sich auf englisch. Eine gemeinsame Sprache, die sie beide ganz gut sprachen.
Möglicherweise gibt es auch bei der Wahl der „Beziehungssprache“ drei Möglichkeiten. Vielleicht sollten wir es aufgeben seine Sprache entschlüsseln zu wollen, vielleicht sollten wir einsehen, dass er unsere Sprache manchmal nicht versteht und sollten eine gemeinsame „Sprache“ erfinden…. ein „Kuss“ am Ende einer Nachricht der „alles o.k.“ signalisiert, ein „ich bin ein Idiot“, das „tut mir ehrlich leid“ bedeutet.
… manche Sachen sagen sich halt leichter als andere. Solange wir die gleiche Sprache sprechen gibt es 100 Möglichkeiten „ich liebe dich“ zu sagen.

Samstag, 19. September 2015

Episode 44 – Deal or No Deal

Ich werde nie vergessen, wie ich mit 18 Jahren meinen ersten Vertrag selbst unterschrieb. Es war 1998 und natürlich war es ein Handyvertrag. Klar, man war erwachsen, durfte jetzt selbst für sich entscheiden, aber es war alles noch etwas ungewohnt und beängstigend. Ein Vertrag! Was da alles hätte passieren können… und das ganze Kleingedruckte erst! Jeder warnte einen vor dem Kleingedruckten!
Daher fand ich es wichtig und gut meinen Papa dabei zu haben, der nochmal über alles drüber schaute und das änderte sich auch in den nächsten Jahren und bei allen wichtigen Verträgen nicht. Ich bewunderte Niko, der ganz alleine Mietverträge abschloss, Autos kaufte und verkaufte und scheinbar alle großen Entscheidungen für sich alleine traf. Wie ein richtiger Erwachsener. Auch mit 34 Jahren finde ich es beruhigend, so etwas nicht alleine tun zu müssen.
Ein Deal, ein Geschäft, ein Vertrag,… das sind richtig ernste Dinge und können einem schon beim kleinsten Fehler schwere Verluste einbringen - draußen in der realen Welt in der es nur um Zahlen, Gewinne und Geld geht.
Private „Verträge“ habe ich immer alleine abgeschlossen! Immer! Evtl. habe ich im nachhinein davon erzählt, aber egal ob es um eine Reise, eine Beziehung, eine Freundschaft, ein Versprechen ging die ich da „unterschrieb“, es lag immer bei mir: Ich fliege in drei Wochen in die USA…, ich werde für 5 Wochen nach Thailand…, ich habe mich getrennt…, ich habe XY versprochen…
Warum glauben wir, glaube ich, dass ein „Erwachsener“ sehr wohl über meine offiziellen Verträge einen Blick werfen sollte, bevor ich sie unterzeichne, nicht aber über meine privaten?
Liegt es daran, dass man aus privaten Deals leichter rauskommt, keine rechtlichen Konsequenzen zu befürchten hat? Wie oft hat man so einen privaten Deal platzen lassen, wie oft wurde ein Deal von der „Gegenpartei“ schon gebrochen? Und welche Schäden, welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Der Schaden der bei einem offiziellen Vertrag entsteht ist meist materiell und von uns allen gefürchtet, der emotionale Schaden den ein geplatzter „Vertrag“ im privaten mit sich bringt scheint nicht ganz so gefürchtet zu sein. Ist es aber nicht dieser emotionale Schaden, der uns in Wirklichkeit viel stärker belastet, der uns schlaflose Nächte kostet und der uns traurig und deprimiert stimmt? Angefangen vom versprochenen Eis, dass es dann nach dem Shoppingmarathon mit den Eltern doch nicht gab, weil die Eisdiele schon zu hatte, bis hin zu den Versprechen die man in einer Beziehung bekam, einen gewaltigen Schaden verursachten sie doch alle: sie zerstörten Vertrauen! Es wurde einem nicht komplett genommen, genau wie bei einem offiziellen Vertrag war man oft nur um ein paar Taler ärmer und um eine Erkenntnis reicher, aber nach und nach bröckelt es, nach und nach verbraucht sich das Guthaben auf dem Konto, besonders, wenn es sich um „Verträge“ mit der immer wieder gleichen Person handelte.
Einen erheblichen Unterschied gab es da aber dennoch: Lernte man seine Lektion bei Firma XY, so hatte man wenigstens gelernt, DIESER Firma nicht noch einmal zu vertrauen. Bei Menschen ist man da großzügiger. Eine Person kann ein Dealbreaker sein… immer und immer wieder und doch unterzeichnet man bei einem verlockenden Angebot auch ein drittes, viertes oder zehntes Mal.
Das Vertrauen in Personen ist wohl einfach größer als in anonyme Firmen und Institutionen, vielleicht überwiegen aber auch einfach die positiven Erfahrungen, die man zwischendurch immer mal wieder gemacht hat.
Ich kann mich dennoch, nach diesem ganzen Monolog über Verträge, Geschäfte, Deals der Frage nicht erwehren: brauchen, nein sollten wir private Verträge nicht vorher von einem Sachverständigen überprüfen lassen?
Wenn wir Herr über UNSER Geld sind, genauso wie Herr über UNSERE Gefühle… wäre es da nicht naheliegend, auch bei Gefühlsfragen eine zweite Meinung einzuholen, bevor wir unterzeichnen und viel wichtiger: sollten wir auf diese dann auch hören?
Ich denke, die Natur hat das ganz clever gemacht: Entscheidungen aus dem Bauch heraus, die Gabe (der meisten Menschen) immer wieder zu vertrauen, zu hoffen und zu verzeihen, ist es, was unsere Spezies am Leben hält, was ein Zusammenleben überhaupt ermöglicht.
Wie schrecklich wäre das Leben, würde man jeden „Vertragsbrecher“ für immer meiden und mit Ignoranz bestrafen. Würde jede gelernte Lektion dazu führen, dem nächsten Menschen vorsichtig und argwöhnisch gegenüber zu treten.
Und so werden wir auch in Zukunft unsere Entscheidungen alleine treffen, Fehler machen, enttäuscht werden… oder überrascht, erleichtert, belohnt.
Das Leben ist ein riesiges Abenteuer und wenn man sehr viel Glück hat kann man den Deal seines Lebens abschließen.

Samstag, 12. September 2015

Episode 43 – Glaskugel 2.0

Manchmal dreht man sich im Kreis. Man kann sich hundert mal über das gleiche Thema streiten und doch zu keiner Lösung kommen, man kann die eigene Tagesplanung 10 mal überdenken und immer wieder zum dem Ergebnis kommen, dass der Tag einfach zu wenig Stunden hat um alles darin unterzubringen und manchmal stellt man auch fest, dass die Episode, die man schon vor 1,5 Jahren geschrieben hat, genau das ausdrückt, was man gerade empfindet.
Wir alle streben nach Weiterentwicklungen. Wir sind uns sicher, dass wir, wenn schon älter, doch wenigstens auch erfahrener, klüger, besser werden. Wir kämpfen ständig mit den beiden kleinen Stimmen.
Der etwas altklugen Stimme, die uns belehrt und die Vergangenheit belächelt.
Der Stimme, die uns einredet, dass wir die Vergangenheit hinter uns gelassen haben, dass wir nun jemand anderes wären und die Probleme aus vergangenen Tagen nicht mehr die unseren sein können.
Und dann gibt es da die Stimme, die uns warnt.
Das kleine Mädchen in uns, dass sich sehr gut an die Schmerzen, Zweifel und Ängste der Vergangenheit erinnern kann und sich insgeheim fragt, warum es denn jetzt anders sein soll.
Mitte 20 ist die erste Stimme meist ziemlich laut und in vielen Entscheidungen sehr dominant. Wir wissen es besser. Wir glauben aus den Fehlern unserer Jugend gelernt zu haben. Man ist gerade erwachsen genug, um zu wissen, wie das Leben funktioniert und noch immer jung genug, um sich in jedes neue Abenteuer zu werfen, das das Leben für einen bereit hält.
Mitte 30 sieht das schon wieder ganz anders aus. In einem Alter (und hier wiederhole ich mich nun) in dem viele Frauen nach Sesshaftigkeit, Haus, Ehemann und Familie streben, scheinen sich Männer Mitte 30 oft noch nicht so wirklich gefunden zu haben.
Mit 24 verlassen zu werden ist furchtbar und zerreißt einem das Herz, eine Beziehung mit 34 aufzugeben, ist für viele Frauen so etwas wie das Ende der Welt.
Es ist in diesem Moment nicht nur der Herzschmerz und der Abschied von dem geliebten Partner, sondern auch oft das Ende eines schönen Traums von Haus, Hund, Mann und Kind.
Natürlich kann man nicht alle Männer und alle Frauen um die 30 über einen Kamm scheren. Natürlich gibt es auch Männer die sich sehnlichst eine Familie wünschen und Frauen, die ihre neu gewonnene Freiheit ausleben… wenn ich mich aber umsehe, mit Freundinnen spreche oder in mich selbst reinhorche, so stelle ich doch fest, dass die Stimme des kleinen unsicheren Mädchens mit jeder Trennung die wir fern der 20 verkraften müssen lauter wird.
Auf einmal zweifeln wir daran etwas gelernt zu haben. Wir zweifeln daran, dass je wieder einer kommen wird, der uns gefallen wird, dass wir je wieder Lieben werden. Wir fragen uns, warum es je anders werden sollte, warum der nächste Mann UNS treu sein sollte und am schlimmsten: wir stellen uns selbst in Frage. Wir zweifeln an unserem Aussehen, unserer Intelligenz, unserem Humor…
Es bricht mir das Herz mitanzusehen wie immer wieder bildhübsche, intelligente, interessante Frauen in einen Strudel von Selbstzweifeln gerissen werden, nur weil der letzte Partner sich nicht „sicher“ war, oder einfach nicht früh genug zugeben konnte, dass er selber gar nicht weiß, was er will. Was daraus folgt ist ein Orakeln 2.0.
Es ist wie der Blick in eine Glaskugel in der wir unsere Zukunft, verzerrt und unrealistisch betrachten und wir fangen an diese Jahrmarktattraktion, die wir im realen Leben für Hokuspokus halten würden, ernst zu nehmen. Wir können erwachsene Frauen sein, mit guten Jobs und tollen Wohnungen, wir wissen rational ziemlich genau, dass niemand sagen kann, was die Zukunft bringt, aber denken dennoch, ganz genau zu wissen was passieren wird…
Die selbsterfüllende Prophezeiung beschreibt das Phänomen, dass ein erwartetes Verhalten einer anderen Person durch eigenes Verhalten erzwungen wird. Erwartet jemand ein bestimmtes Verhalten von seinem Gegenüber, erzwingt er durch eigenes Verhalten genau dieses Verhalten.
Den Begriff erwähnte Otto Neurath erstmals 1911. Als Auslöser für die Verbreitung beider Begriffe gelten jedoch mitunter Paul Watzlawick und Robert K. Merton. Dieser bezeichnete den Denkfehler, die eigene Rolle zu übersehen und die Ereignisse dann als Beweis für die eigene Vorhersage anzuführen (soweit Wikipedia).

Aber ist das so einfach? Sind wir selbst „schuld“ am Verlauf unserer Beziehung oder sind die Männer alle verkorkst?
Und viel wichtiger: Zerstören wir durch unser Verhalten konsequent unsere Beziehungen?
Ich sage mir das Gleiche, was ich Finja am Sonntag sagte: wir sind keine 20 mehr (und das ist gut so), aber wir sind auch noch jung genug uns auf ein Abenteuer einzulassen. Ein Abenteuer, welches jede neue Beziehung mit sich bringt und vielleicht können wir von unserer Vergangenheit nicht nur die negativen Erfahrungen mit in die nächste Beziehung mitnehmen, sondern auch ein wenig von der ersten, selbstbewussten Stimme die uns sagt, dass wir durchaus, besser, klüger und irgendwie ein bisschen „weiser“ geworden sind.
Diese Stimme die in unsern 20ern so dominant und unerschrocken war und uns dazu gebracht hat, offen und mutig in eine neue Beziehung zu starten.
Eine Beziehung ist Arbeit und selbst Hollywood zeigt uns nicht, was nach dem Happy End passiert.
Vielleicht ist es Zeit die Glaskugel im Keller einzumotten. Natürlich sind wir nicht mehr 20 und ich plädiere nicht dafür blauäugig und naiv in die nächste Beziehung zu stolpern, sondern neugierig und offen. Jede von meinen Freundinnen hat den Jackpot verdient… und ich bin mir sicher, den werden sie finden… auch ohne Glaskugel!


Samstag, 5. September 2015

Episode 42 – Linie 1

Als ich 15 oder 16 Jahre alt war, verliebte ich mich in ein öffentliches Verkehrsmittel: die Lini1.
U-Bahn fahren mochte ich noch nie wirklich, vielleicht mal ein paar Jahre als Kind, zusammen mit meiner Mama oder meinem Papa die mich vor der ganzen Welt beschützen konnten – damals, als die Fahrt durch den schwarzen Tunnel von der Reinickendorfer Straße bis zur Kochstraße eine halbe Ewigkeit zu dauern schien.

Später, als die Mauer schon lange weg war, fuhr ich täglich allein U-Bahn. Alleine zu fahren war immer etwas gruselig. Es fühlte sich immer so an, als wäre in der U-Bahn ein anderer Menschenschlag anzutreffen. Alles wirkte düster, irgendwie schmutziger als oben bei Tageslicht. Egal ob in Berlin, New York oder Rom: wer regelmäßig U-Bahn fährt, hat alle Abgründe  der Menschheit schon mindestens einmal gesehen. Ich kenne keinen Ort in Berlin, an dem man brutaler und härter mit der Realität konfrontiert wird, als in der U-Bahn. Es ist eine große Bühne, realer als jede Realityshow bei RTL2 je sein könnte.
Lange bevor es RTL2 gab, dachten sich Birger Hermann und Volker Ludwig anscheinend genau das, als sie ihr Stück „Linie1“ schrieben und komponierten. Ein Stück, welches mich von der ersten Sekunde in seinen Bann und in die schmutzige, düstere, leicht depressive Welt des Berliner Untergrunds entführte. Damals, als Teenager, kam mir das alles so echt vor, heute liebe ich noch immer die Musik, muss aber zugeben, dass ich mich mit der Geschichte persönlich nicht mehr identifizieren kann. Als ich mir das Stück vor zwei Jahren erneut ansah, musste ich immer wieder lächeln, mein jüngeres ich, das Mädchen, dass dieses Stück vor ca. 16 Jahren so aufgesaugt hatte, war schon lange verschwunden. In den Bann zog mich lediglich noch der männliche Hauptdarsteller… und selbst der war (nüchtern und bei einem gemeinsamen Kaffee genauer betrachtet) ziemlich langweilig.

Die Berliner U-Bahn sah mich in den nächsten zwei Jahren so gut wie gar nicht, die U-Bahn in Rom und New York notgedrungen schon. War es doch immer noch die günstigste und schnellste Möglichkeit von A nach B zu gelangen. Und schließlich, an einem sonnigen Urlaubstag im August, wollte ich mich auch mit der Berliner U-Bahn versöhnen. Zugegeben, es fiel mir nicht ganz leicht mich bei jemandem für ein zu schnelles Urteil und einen Haufen von Vorurteilen zu entschuldigen, der schon beim ersten Wiedersehen nach Schweiß und Urin roch. Die Tatsache, dass ich jeden Tag viele Menschen um mich habe, viele Geräusche und Gespräche auf mich einprasseln machte die Vorstellung von einem Bad in der Menge nicht gerade attraktiver.
Ich startete vorsichtig, mit dem was ich kannte, bekanntes Terrain sozusagen: die U6.

Ich will euch jetzt nicht mit einer schnöden U-Bahnfahrt langweilen, was ich aber mit Sicherheit sagen kann ist, das wir es geschafft haben, die U-Bahn und ich meine ich. Wir sind jetzt wieder Freunde.
Ohne es provoziert zu haben, war ich plötzlich wieder Zuschauer und Zuhörer. Zwei Damen saßen mir direkt gegenüber und unterhielten sich etwas lauter, als angebracht. Die eine Anfang 40, die andere vielleicht Anfang 50:

„Mein Freund ist ja heute Abend zurück“ sagte die jüngere, „wir haben uns ja eigentlich halb getrennt, mal sehn wie das wird. Wir sind ja nachher noch bei seinen Eltern eingeladen“.

Die ältere nickte abwesend „der Bulgare hat mich letztens auf ne Kaffee eingeladen, ich hab dann extra deutlich erwähnt, dass ich seine Frau auch gerne mal kennen lernen würde. Der ist ja eigentlich verheiratet. Und hat zwei Kinder“…

„Das Kind meiner Freundin ist ja jetzt auf einer privaten Schule mit dem Fokus auf deutsch, Kunst und Musik, sie hat da echt ne Ader für“

„Weißt du, wer echt Talent hat? Meine zweijährige Nichte. Die malt Bilder, du denkst das ist von nem großen Künstler oder so. Und das mit zwei Jahren!!!“

Ein Gespräch, aus zwei Monologen.

Ich musste lächeln und schaute schnell aus dem Fenster. Die Bahn rattert gerade durch den Tunnel und alles was ich in der Scheibe sehne konnte, war mein Spiegelbild. Kurz war ich versucht, meinem jüngeren ich zuzuzwinkern, aber aus Angst, von den anderen Fahrgästen selbst als Freak abgestempelt zu werden, ließ ich es und schaute schnell zu Boden.

Als ich schließlich ausstieg und mich mit einer kleinen Shoppingtour belohnte, wurde mir klar, dass es sich mit der U-Bahn genauso verhielt, wie mit Linie1 im Grips Theater: mit etwas Abstand betrachtet war es zwar immer noch die selbe Bühne, für mich aber nicht mehr das selbe Stück. Vielleicht, so überlegte ich, war es an der Zeit, auch andere „Stücke“ ein zweites Mal zu sehen und die Sichtweise des 15 jährigen Mädchens nochmal zu überprüfen. Und das mache ich jetzt.
Heute Abend starte ich mit Oliven.
Die mochte ich noch nie.
Man muss klein anfangen…