Samstag, 26. Juli 2014

Episode 24 - Klassentreffen

Ich hatte seit meiner Schulzeit nur ein richtiges Klassentreffen, an das ich mich erinnern kann. O.k. - wenn ich ganz ehrlich bin, gabs da doch noch ein Zweites: Das Klassentreffen in der siebten mit unserer Grundschulklasse, die wir ein Jahr vorher verlassen hatten. Da wir damals aber alle noch bei unsern Eltern und damit dicht beieinander wohnten und alle mehr oder weniger befreundet waren, zählt das irgendwie nicht. Das Klassentreffen von dem ich hier spreche ist das, der Realschule vor gut zehn Jahren. Ich hatte nach der 10. Klasse ein Auslandsjahr eingelegt, war danach in die 11. Klasse gegangen, hatte mein Abi bestanden, studiert und ein Praktikum beim Radio gemacht. Ich hatte bei mehreren Sendern reingeschaut und nun gerade eine Festanstellung bekommen. Ich freute mich aufs Klassentreffen, auf die alten Leute, die nie meine besten Freunde geworden waren, die ich aber doch unglaublich gern wiedersehen wollte. Ich war 23, motiviert, neugierig, die Welt stand mir offen... ich war seit einem knappen Jahr mit Niko zusammen, dem Mann meiner Träume, ich hatte in den letzten Jahren soviel erlebt und hatte noch so vieles vor mir. Beim Klassentreffen angekommen, gab es sogleich die ersten logistischen Probleme, denn drei Mädels hatten Kinderwagen bei und das Restaurant stellte sich als nicht sonderlich geräumig und geeignet für diese Aktion heraus. Trotz aller Schwierigkeiten kamen wir schließlich zum Essen und erlebten einen wunderschönen Tag. Wir knüpften da an, wo sich unsere Wege vor gut sieben Jahren getrennt hatten. Die meisten meiner ehemaligen Mitschülerinnen waren inzwischen verheiratet und hatten Kinder. Zwei Mädels waren schwanger. Sie erzählten von ihren Ausbildungen, die sie mit 16 begonnen hatten. Sie berichteten von ihren Berufen und davon, dass sie inzwischen einen unbefristeten Vertrag hatten und dass es daher nur logisch war, jetzt Kinder zu bekommen. Ich war nicht eifersüchtig. Ich war auch nicht traurig oder böse, dass Kinder die Gespräche dominierten, aber ich fragte mich, wann diese Menschen, mit denen ich in der 10. Klasse rumgealbert hatte, erwachsen geworden waren. Irgendwie war es erschreckend, wie weit uns sieben Jahre auseinander getrieben hatten. Ich hatte noch nichtmal die Probezeit meines ersten Jobs bestanden, während hier über Baukredite, Festverträge und Kitaplätze diskutiert wurde. Heute, gut 10 Jahre später, spreche ich mit zwei meiner besten Freundinnen über die Planung ihrer Hochzeiten, ich war gerade erst bei der Taufe meines Patenkindes, der Tochter einer anderen, sehr wertvollen und besonderen Freundin. Doch die Frage bleibt die Gleiche: wann sind diese Menschen erwachsen geworden und wann werde ich es? Bin ich es schon und wenn ja, wann ist das passiert? Ist es eine bewusste Entscheidung die wir treffen oder etwas, dass passiert, wenn sich unser Leben ändert? Entscheidet das Alter darüber? Ist es so, dass wir eines morgens aufwachen: "18.Geburtstag, happy Birthday, du bist erwachsen" oder hat man da noch etwas Spielraum, so nach dem Motto "du kannst ab 18 erwachsen sein...hättest aber auch noch bis 28 Zeit, quatsch zu machen, wenn du noch nicht bereit bist..."So oder so. Ich seh jetzt ein, dass ich mit 33 Jahren wohl über jeden Spielraum hinaus bin. Aber das geht klar. Ich hab mich davor nun wirklich solange gedrückt, wie irgend möglich ... und ich hatte dabei wirklich eine tolle Zeit.

Samstag, 19. Juli 2014

Episode 23 – We are family

Ich saß im Flieger und versuchte mich abzulenken. Noch 30 Minuten bis Berlin. Fliegen gehört weiß Gott nicht zu meinen liebsten Beschäftigungen. Es ist diese Mischung aus Hilflosigkeit, gepaart mit dem ganzen anstrengenden Drumherum. Den Koffer fluggerecht packen, aufgeben, zittern, dass man ihn wieder bekommt... Das wirklich erniedrigende Durchwühlen meiner Handtasche weil man mal wieder ein Deo darin vergessen hat. Das und vieles mehr lässt mich oft schon einige Tage vor Abflug nervös werde. Das ganze setzt unterschiedlich früh und feinsäuberlich nach Flugzeit gestaffelt ein: Kurzstrecken: ein bis zwei Tage vorher, Mittelstrecke: zwei bis vier Tage vorher und Langstrecke: vier Tage bis Wochen vor Abflug. Dazu kommt die Nervosität vor einer Reise (wird alles gut?) und die Melancholie nach einer Reise (schade, schon wieder alles vorbei). Während ich also angespannt in meinem Sitz kauerte, lies ich den Urlaub Revue passieren. Es war ein schöner sehr entspannter Urlaub gewesen. Ich hatte seit langer Zeit meine kleine Cousine wiedergesehen. Man muss dazu sagen, dass sie nur einige Jahre jünger ist, für mich aber immer die kleine Schwester bleiben wird, die ich nie hatte. Es schmeichelt mir sehr, dass sie das Gleiche über mich sagt. Dass sie tatsächlich eine echte große Schwester hat, tut der Sache keinen Abbruch. Ich habe keine große Familie, um so schöner ist es, dass sich unter den wenigen Menschen eine Person befindet, die mir so ähnlich ist, obwohl sie einzigartiger nicht sein könnte. Und noch etwas ist erstaunlich. Wenn wir uns sehen, sind wir einfach nur wir. Es ist ein wenig so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Es spielt keine Rolle, dass sie nun eine wunderschöne junge Frau von 27 ist. Sobald ich bei ihr bin ist alles wie früher. Während ich mich für ein Date schminke sitzt sie neben mir im Bad auf dem Wannenrand und zieht mich liebevoll auf. Wenn ich Geschichten über „Dates und Jungs“ erzähle, hört sie gespannt zu, eingekuschelt in ihre Kissen und gibt kleine, spitze Kommentare ab und wenn ich müde oder deprimiert bin, krault sie mir den Kopf bis ich eingeschlafen bin. Und doch ist diesmal etwas anders, denn inzwischen redet sie dann auch selbst über ihre Erfahrungen. So muss es Eltern ergehen, die zum ersten Mal den Liebeskummer ihrer Kinder trösten denke ich mir und möchte im gleichen Moment jeden Kerl erschießen, der sich ihr gegenüber unanständig verhält. Wir lachen viel, wir essen viel und wir geben wieder mal viel zu viel Geld für Klamotten aus. Es ist eine unbeschwerte Zeit, die mich zurück wirft in Erinnerungen, die schon fast verblasst waren. Ich frage mich, ob es ihr auch so geht. Ob sie die Zeit genauso geniest wie ich es tue oder ob sie es als ihre Pflicht sieht, die kleine Cousine zu spielen, die die Große anhimmelt. Ich kann mir nicht mehr erklären, warum ich es so lange ohne sie ausgehalten hab und ich frage mich, welche Lektion mir der Urlaub erteilt hat, was die Moral der ganzen Geschichte ist. Vielleicht gibt es in diesem Fall keine. Vielleicht ist alles was ich in diesen Tagen gelernt hab, dass Familie, sei sie auch noch so weit weg von zuhause, der Ort ist, wo du immer du bleibst: die Tochter, die große Schwester, die nervige Tante oder eben auch die große Cousine aus der Hauptstadt, die dich mit skurrilen Geschichten über Leben, Liebe und Männer versorgt. Für mich ist es wie das Kaninchenloch in das man fällt, bevor man am anderen Ende in einer wunderbare Welt erwacht, in der alles einfach zauberhaft ist. Fern von Druck, fern von Erwartung und fern von den Rollen, die man im alltäglichen realen Leben einnehmen muß. Was es auch ist. Es ist schön zu wissen, das es einen Ort mit Menschen gibt, bei denen du ganz genau das bleibst, was du schon immer für sie warst.

Samstag, 12. Juli 2014

Episode 22 – 150 g  Hackfleisch halb und halb bitte

Müde vom Einkaufen ließ ich mich auf die Couch fallen. Lebensmittel einzukaufen ist für mich eine absolut nervige und überflüssige Angelegenheit und ich würde sie mir wohl immer liefern lassen, wenn mir die Vereinbarung des Liefertermins nicht zu verbindlich und nervig wäre. Aber so ist das halt. Wenn man was im Kühlschrank haben will, muss man vor die Haustür oder sich in einer Stadt wie Berlin wenigstens verbindlich auf einen Liefertermin festlegen können. Also hatte ich das kleiner Übel gewählt, hatte mich in meine Klamotten geworfen und mich über eine Stunde durch den wieder mal viel zu vollen Supermarkt gedrängelt. Als ich gerade meine Schuhe von den Füßen gekickt und mich auf das wohlverdiente Sofa fallen gelassen hatte, klingelte das Telefon. Es war Heike. Innerlich rollte ich mit den Augen, aber intuitiv nahm ich ab, denn gute Freunde lässt man nicht ins leere klingeln. Wie befürchtet war es nicht Heike, die fröhliche Smalltalkerin, sondern Lebenskriesen-Heike. Der Mann, mit dem sie seit einigen Monaten ausging hatte ihr durch die Blume mitgeteilt, dass es da noch eine andere „Interessentin“ gab. Die beiden hatten sich vor einiger Zeit in einem Club kennen gelernt. Von Anfang an war sie fasziniert von seiner offenen, direkten Art und seinem Charme. Was für Außenstehende wohl sichere Alarmzeichen für einen Frauenheld sind, sind für die betroffene Person meist nur Zeichen, dass sie die Eine für ihn war und dass es sich um Liebe auf den ersten Blick handeln muss. Mehr als einmal hab ich das in meinem Freundeskreis erlebt und so oft man das auch von Außen kommentiert, so schnell wird man auch blind, sobald es einen selber trifft. Und während ich mir ihre Geschichte anhörte, kam mir ein Gedanke. Sind wir an diesem Elend selber Schuld? Es ist richtig, dass wir nie wissen wo und wann uns der Mann fürs Leben über den Weg läuft, aber ist es nicht so, dass wir es selber in der Hand haben, was uns in den Einkaufswagen kommt und was wir vor der Kasse wieder aussortieren? Wenn wir in den Supermarkt gehen, ein Rezept im Kopf, wissen wir genau was wir wollen. Wir gehen zur Fleischtheke, bestellen 150 g Hackfleisch, bekommen 150 g Hacklfleisch, gehen zur Kasse und gut ist. Niemand würde auf die Idee kommen in ein Schuhgeschäft zu gehen, wenn er Hackfleisch braucht (außer es liegt gerade auf dem Weg ... und es gibt wirklich schöne Schuhe) und selbst wenn: wir wären wohl kaum überrascht wenn wir das Geschäft dann mit Schuhe und nicht mit Hackfleisch verlassen. Vielleicht verhält es sich ja mit Männern genauso. Vielleicht sind wir selber Schuld daran, dass es in unseren Beziehungen nicht funktioniert, weil wir einfach die falsche Ware in den Einkaufswagen gepackt haben, einfach von Anfang an im falschen Laden eingekauft haben. Wir sehen den wilden Typen, der mit seinen Kumpels barfuß im Park sitzt und Bier trinkt und ärgern uns nach 6 Monaten Beziehung, dass er ein wilder Typ ist, der gerne barfuß mit seinen Kumpels im Park sitz. Und Bier trinkt. Wir sind fasziniert von dem Mann, der im Club auf uns zukommt und uns direkt anspricht und verstehen nicht, warum er trotz der Beziehung zu uns immer wieder mit wildfremden Frauen ins Gespräch kommt. Vielleicht ist es wirklich so: what you see, is what you get. Ich sage es Heike nicht. Wie könnte ich. Nichts ist schlimmer als eine besserwisserische Freundin, wenn es einem eh schon schlecht geht. Auf einmal kommt mir Lebensmittel einkaufen gar nicht mehr so nervig vor. Alles liegt gut sortiert vor einem, sauber beschriftet. Selbst die Inhaltsstoffe und das Mindesthaltbarkeitsdatum sind aufgelistet.So gut wie unmöglich hier einen Fehlgriff zu machen.Ich packe mein Hackfleisch aus und während ich die Lasagne für die wimmernde Heike, die sich gerade zu mir auf den Weg macht und mich vorbereite denke ich: „wie schön wäre es, wenn es mit allem so einfach wäre“. 

Samstag, 5. Juli 2014

Episode 21 - Irrwege

Entscheidungen. Kleine Pfade die man einschlägt und die doch den ganzen Weg maßgeblich beeinflussen können. Als ich heute Mittag mit zwei guten alten Freundinnen und ihren Kinderwagen zum Kaffee zusammen saß, musste ich unwillkürlich darüber nachdenken. Wir alle treffen Entscheidungen. Ständig. Täglich, minütlich. Manche erscheinen banal, wie die Auswahl des richtigen Outfits oder des Mittagessens in einem Restaurant. Andere wiederum können unser Leben nachhaltig beeinflussen. Ich sah auf den kleinen Sohn meiner langjährigen Freundin, den sie auf dem Arm hielt. Eine simple Entscheidung sich auf einen Auslandsposten zu bewerben hatte ihr einen Ehemann und ein Kind eingebracht. Wie wäre die Geschichte wohl zuende gegangen, wenn sie sich damals dagegen entschieden hätte. Zugegeben, diese Entscheidung zählte damals zu den größeren in ihrem Leben. Ich höre ihre Worte noch, als wäre es gestern gewesen, als sie vor mir stand und sagte „wenn ich wiederkomme bin ich 34... eigentlich wollte ich da doch verheiratet sein und Kinder haben und nun geh ich in eine befristete Zukunft, weit weg von Deutschland...“. Eine Kinderplanung außerhalb Deutschlands war damals keine Option. Wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn sie sich nicht für diesen Schritt entschieden hätte. Wenn die Angst und das Heimweh gesiegt hätten? Diese kleinen Verknüpfung des Lebens haben mich schon immer fasziniert. So hatte ich relativ früh eine Kette zusammen gesponnen, die mich bis zu Niko geführt hatte und diese Theorie war so: Mein High School Jahr in den USA mit 16 war eine der besten Entscheidungen meines Lebens gewesen, denn dort hatte ich nicht nur wunderbare Freunde kennen gelernt, sondern auch Josh. Es kam wie es kommen musste: Zwei Kontinente, viel Herzschmerz und die Einsicht, dass sich unsere Welten nicht verbinden ließen. Zurück aus den USA lernte ich einen guten Freund kennen. Und warum lernte ich ihn kennen? Weil er mich optisch an Josh erinnerte. Dieser Freund wiederum arbeitet neben der Schule und so bewarb auch ich mich in dieser Firma. Einige Wochen später freundete ich mich dort mit einer Kollegin an und diese annoncierte schließlich ihr WG-Zimmer auf welches sich Niko bewarb. Die perfekte Verbindung von Josh zu Niko war damit abgeschlossen und ergab in meinem Kopf absolut Sinn. Oft frage ich mich, ob uns jede einzelne Entscheidung zu einem anderen Ziel bringt oder nur der Weg ein anderer ist. Ich erinnere mich an ein Labyrinth in einem Maisfeld durch das ich mit Josh in den USA gelaufen war. Landkinder vertreiben sich die Zeit wohl anders. Bei einem Labyrinth gibt es einen Eingang und einen Ausgang und zwischendurch viele Entscheidungen, ähnlich wie im Leben. Josh hatte mir damals gesagt, man müsse sich immer nur rechts halten um ohne Irrwege wieder heraus zu finden und das hatten wir dann probiert. Tatsächlich waren wir ziemlich schnell am Ziel. Danach gingen wir noch mal hinein und „verliefen uns“ absichtlich und irgendwie machte das mehr Spaß. Vielleicht ist es ja auch so mit den Wegkreuzungen in unserem Leben. Es gibt einen schnellen und einen langsamen Weg. Einen mit Sackgassen und einen mit Abkürzungen, aber egal wie wir uns entscheiden, allein die Zeit bis zum Erreichen des Ziels ist eine andere. Das Ziel selber bleibt immer das Gleiche. Irgendwie beruhigt mich dieser Gedanke. Ich sehe auf meine Freundinnen. Vielleicht haben sie sich einfach nur brav rechts gehalten oder sind schneller durch den Irrgarten gerannt, aber ich finde es schön zu wissen, dass auch ich irgendwann den einen Ausgang finde, ungeachtet der vielen Wege die ich bis dahin eingeschlagen habe.